Sehr gerne. Ich habe mir im Vorfeld schon Gedanken zu dieser Frage gemacht und mir ist es schwergefallen, darauf eine Antwort zu finden. Aber ich bin zu einer Definition für mich gekommen: Einerseits heißt Diversity, dass ich vielseitig interessiert bin und ein vielfältiges Leben führe. Andererseits verbinde ich mit Diversität auch einen ethischen Auftrag – der sich meines Wissens erst in den letzten Jahren so laut geworden ist.
Wenn wir über Vielfalt sprechen, sprechen wir nämlich über politische Gleichstellung, eine gleiche Behandlung aller Menschen, über einen respektvollen Umgang miteinander. Wir blicken auch in Wunden: politische Wunden und in die Schwachstellen unserer Historie. Vielfalt hat also auch eine gewisse Schwere, weil sie darauf aufmerksam macht, dass es einen oder mehrere Punkte gibt, die wir anpacken müssen. Diversity hat also für mich eine bunte, lebendige Seite und einen Auftrag gesellschaftlich etwas zu bewegen.
Ja, genau. Es ist aus meiner Sicht wichtig, beide Seiten nicht aus den Augen zu verlieren und zu überlegen, wie man Vielfalt mit dem Auftrag zusammenbringen kann. Die Leichtigkeit, die mit dem Thema mitschwingt, gilt es aufzugreifen, um sich bewusst zu werden, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist und wie man jetzt Veränderung anstoßen kann.
Vor einigen Wochen war ich auf einem Workshop zum Thema für meine Arbeit als Coachin. Es ging darum, wie man den Vielfaltsgedanken stärker in Unternehmen bringen kann. Anschließend habe ich über einen Beitrag einer Teilnehmerin nachgedacht, der mich beschäftigt hat: Die Teilnehmerin war der Meinung, dass sie sehr divers lebt aufgrund der Tatsache, dass sie in Berlin wohnt und das Leben dort sehr bunt und vielfältig ist.
Ich habe den Gedanken auf mich übertragen und kam zu dem Entschluss, dass ich nicht divers lebe, nur weil ich in Barcelona wohne, obwohl auch hier viele unterschiedliche Kulturen und Menschen zusammenkommen. Das hat zunächst ja noch nichts mit meinem eigenen Leben zu tun.
Daraufhin habe ich mir meinen Alltag näher angeschaut und habe festgestellt, dass ich in einer sehr priviligierten Welt lebe und mich – vor allem durch meinen Beruf – in einer Bubble von Akademikern befinde. In meinem direkten Umfeld habe ich nicht viel mit Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Kreisen, sozialen Schichten, bildungsfernen Gruppen oder auch „Randgruppen“ zu tun. Ja, ich lebe in Barcelona, aber vor allem meine langfristigen Kontakte sind nicht wirklich divers.
Mit der Persönlichkeitsentwicklung geht die Selbstreflexion einher – das heißt, es ist die Aufgabe eines jeden Menschen, der sich weiterentwickeln möchte, zu sich eine gute Beziehung aufzubauen. Wenn man das Coaching als gesellschaftlichen Auftrag sieht, dann soll das Ergebnis eines Coachings ein besserer Umgang mit einem selbst und mit anderen sein, weil man achtsamer durch den Austausch wird.
Der Auftrag eines Coaches, im Rahmen von Diversity, ist – aus meiner Sicht – sich selbst neu zu entdecken. Wenn ich mit einem Thema oder einer Person in Kontakt komme, entdecke ich viele neue Dinge – durch Kultur, Sprache und andere Hintergrundinformation. Dabei erlebe ich sofort, was mit mir in Resonanz geht, was mich inspiriert und welche Vorurteile ich an der einen oder anderen Stelle eventuell habe. Ich brauche das Fremdverständnis um mein eigenes Selbstverständnis herzustellen.
Wenn wir an das Miteinander denken, ist Diversity wichtig, um für sich zu definieren, welchen Platz man in der Gesellschaft einnehmen möchte. Für was möchte man stehen und sich einsetzen.
Alles, was bewusst sein soll, findet außerhalb des Autopiloten statt. Das heißt: Man nimmt sich Zeit und Raum, um hin zu schauen. Vor dem Beobachten steht also erstmal die bewusste Entscheidung, es zu wollen.
Und dann geht es darum einen Raum zu schaffen, in dem man Hinschauen kann. Hier wäre also die Frage: „Wie kann ich mich dem Thema nähern?“ Es gibt ja so viele verschiedene Möglichkeiten: über Literatur, Gespräche, Kultur – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Option sollte natürlich auch zum eigenen Umfeld passen. Heißt, wenn das direkte Umfeld keine Gespräche hergibt, dann wäre eine andere Herangehensweise vielleicht sinnvoller. Je einfacher der Zugang ist, desto geringer ist auch der Widerstand.
Instagram kann auch eine tolle Quelle für Inspirationen und neues Wissen sein. „Welchen Kanälen kann ich folgen, um stärker mit Vielfalt konfrontiert zu sein?“ Diese Frage kann man sich unter anderem stellen.
Es ist also wichtig, dass man sich überlegt, wie Begegnungen mit Diversität aussehen und ohne große Hürden stattfinden können.
Ich nehme mich als sehr reflektierten Menschen wahr –im Alltag wie im Beruf. Meine erste Herangehensweise ist es mich erst einmal selbst zu beobachten, wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Ich achte darauf, welche Gedanken mir kommen und welchen Umgang ich mit ihnen wähle.
Ich habe zum Beispiel einen mexikanischen, homosexuellen Yogalehrer. Wir unterhielten uns letztens und ich spürte den Impuls im Nachgang, dass ich ihn viel mehr hätte fragen können – über seine Herkunft, zu seiner Kultur, zu seinem jetzigen Leben in Barcelona.
Allerdings lese ich auch sehr gerne. Deswegen möchte ich mir tieferes Wissen über Literatur aneignen.
Ja, das Hinschauen darf auch in kleinen Schritten geschehen. Wichtig ist: Es sollte nicht als verpflichtendes To-Do empfunden werden, sondern darf leicht sein. Jeder erlebt Diversität anders und aus der eigenen Blase heraus. Ein Austausch mit anderen kann auch spannende, neue Erkenntnisse bringen.
Man sagt ja so schön: „Herausforderungen liegen immer außerhalb der Komfortzone“. Herausforderungen spüren wir, wenn uns eine Situation unangenehm ist oder uns sogar Angst einflößt. Man weiß zunächst nicht die Lösung für das Problem und fragt sich, was richtig oder falsch wäre. Im Umgang oder bei der Konfrontation mit einer herausfordernden Situation fühlt man sich also oft anfangs unwohl und eventuell hilflos bzw. überfordert.
Genau, so ist es. Ganz am Anfang steht oft eine Art „Störgefühl“ oder Unbehagen.
Ich sehe Herausforderungen darin, dass Diversität ernst genommen werden muss, aber nicht zu viel Last mit sich bringt. Diversität heißt auch: Wir alle bringen uns ein und das kann bedeuten, dass dieses Einbringen für uns anstrengend werden kann. Gerade privilegierte Menschen sollten sich dies bewusst machen, wie wichtig ihr Einsatz ist und dass es anstrengend werden kann, aber vor der Arbeit nicht zurückschrecken. Für jemanden oder für eine Community einzustehen, ist sicherlich nicht immer einfach, bewirkt aber sehr viel und kann auch – bei aller Ernsthaftigkeit – Spaß machen.
Absolut. Ich habe auch gemerkt, wie verunsichert ich selbst mit Diversity umgegangen bin, weil ich Angst habe, etwas falsch zu machen. Und ich denke mit dieser Unsicherheit bin ich nicht alleine.
So eine schöne Geschichte, Carina. Auch für mich kommt es darauf an von Menschen aus meinem direkten Umfeld zu lernen und sie als Ansprechpartner und Begleiter zu sehen. Allgemeine Ratschläge, die man sich beispielsweise aus einem Podcast holt, können sicherlich auch hilfreich sein, aber passen nicht immer genau zu meinen spezifischen Fragen oder der eigenen Situation.
Dazu kann ich auch eine kleine Geschichte erzählen. Als ich nach Barcelona gezogen bin, haben mir im Vorfeld viele Leute gesagt, dass ich unbedingt Catalan statt Castellano sprechen muss, um aufgenommen und akzeptiert zu werden. Natürlich hat mich das verunsichert. Letztendlich hatte ich in all den Jahren noch keine einzige unfreundliche Begegnung aufgrund dessen. Sowieso erlebe ich die Menschen hier auffallend freundlich.
Das ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass jede:r seine eigenen Erfahrungen sammeln muss. Und man kann nichts falsch machen, wenn man sich von Mensch zu Mensch respektvoll begegnet.
Ich finde Kreativität als Herangehensweise sehr schön, weil sie Leichtigkeit mitbringt. Zeitgleich hat kreativ sein sehr viel mit den Sinnen zu tun, was ja auch sehr gut zu Genki passt. Durch die Sinne können wir Kreativität hören, sehen, schmecken, riechen und auch fühlen. Ob es ein Tanz, ein tolles Musikstück oder ein Essen ist – Vielfalt bzw. Kultur wird so erlebbar. Was mir an der Kreativität besonders gut gefällt: Sie bringt Leute zusammen und verbindet über ein Gefühl. Sie ermöglicht wirklich zu genießen – ja, die Vielfalt zu genießen!
Aus meiner Sicht als Business-Coachin möchte ich ergänzen: Oft wählen wir Methoden, um ein Problem zu lösen, weil wir sie kennen und wir uns mit dem Weg sicher fühlen. Aber im beruflichen Kontext ist es genau so wichtig wie im privaten Leben, öfter eine neue Herangehensweise auszuprobieren. Es kann es kreativ sein, den Löffel links statt rechts herum zu drehen.
Wir denken bei Kreativität oft an Malen, werkeln, musizieren etc. Aber kreativ sein heißt auch: aus bekannten Zutaten etwas Neues zu kreieren. Daran kann man sich im Alltag immer wieder selbst erinnern und als Beispiel aus einzelnen Kleidungsstücken, die wir bereits im Schrank haben, komplett neue Outfits zusammenzustellen.
Danke dir, dass wir uns gemeinsam Vielfalt nähern. Ich finde die drei Herangehensweisen sehr interessant, weil sie so unterschiedlich sind.
Ja, Genki Leser:innen dürfen es sich leicht machen und für sich entscheiden, welcher Weg der richtige für sie ist. Diversität soll Spaß machen.
Toleranz kann man natürlich üben. Es ist sinnvoll, klein anzufangen und bewusst hinzuschauen. Wenn man bemerkt, mich stört oder triggert etwas und sich fragt, warum dies so ist, lernt man sich selbst besser kann. Das gilt für Erlebnisse in allen Lebensbereichen. Interessant ist: Je fremder etwas für uns ist (zum Beispiel eine Kultur oder Verhaltensweise), umso eher bewerten wir es als „nicht gut“ oder „nicht richtig“.
In meinen Coachings gebe ich oft das Besispiel: „Was Max über Peter sagt, sagt mehr über Max aus als über Peter“. Und dieser Satz sollte uns immer begleiten, um mehr über die eigene Toleranz, Unsicherheit oder Verletzungen etc. zu lernen.
Tolerant zu sein, heißt ja nicht, dass man alles gut findet muss, was jemand macht oder sagt. Es geht schlichtweg um Akzeptanz. Wie langweilig wäre denn auch ein Leben, wenn wir alle gleich leben würden?
Natürlich gibt es auch Ereignisse oder Verhaltensweisen, die man nicht tolerieren muss. Vor allem, wenn es um Menschenrechte und Vielfalt geht. Darauf soll man aufmerksam machen, wenn es auch die eigenen Werte triggert und die Welt und Menschen verletzt werden.
Die drei Pfade, die du aufgestellt hast, finde ich super, um etwas zu bewegen. Ebenso kann man über den Austausch mit anderen Menschen etwas anstoßen – ohne eine Debatte zu führen. Obendrein einzuschreiten, wenn man etwas beobachtet, was nicht akzeptabel ist. Außerdem sich seiner eigenen Sprache bewusst zu werden und genau darauf zu achten, was man sagt. Ein Beispiel dafür ist das „Zigeunerschnitzel“. Früher hat man es mit diesem Wort bestellt, heute sollte man es nicht mehr verwenden, weil es von der betroffenen Gruppe von Menschen als Schimpfwort aufgenommen wird. Da langt mir das Argument nicht: „Ja, aber das haben wir immer schon gesagt. Wir meinen das doch nicht böse.“ Es geht darum, was beim Empfänger ankommt.
Ich bin auch der Meinung, dass kleines Aktiv sein im Alltag viel effektiver ist, als einmal im Jahr ein Schild hochzuhalten. Was natürlich auch wichtig ist, um Sichtbarkeit zu erlangen. Dennoch kommt es auf den täglichen Einsatz im Miteinander an.
Ich persönlich finde es gut, einen Fokus für sich zu finden und zu schauen, mit welcher der Dimensionen man am meisten in Resonanz geht. Vielfalt ist ein sehr schönes Thema, aus dem wir viel Energie ziehen können. Sie hat den bereits angesprochenen Auftrag und man kann sich für Personengruppen einsetzen, um aktiv für sie bessere Umstände zu erreichen. Dafür braucht es auch einen Fokus, schließlich kann man sich nicht für alles und jeden zur gleichen Zeit zu 100 Prozent einsetzen. Ebenso kann man den Einsatz nicht leisten, wenn er nicht mit einer gewissen Leidenschaft verbunden ist, die man definitiv benötigt um sich zu engagieren. Das heißt nicht, dass man andere Personen oder Missstände nicht als wichtig empfindet oder sie egal sind.
So ist es. Der Mensch ist auch nicht multitasking fähig und hat unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten. So ist es doch schön, wenn jede:r das macht, was er gut kann oder was ihn wirklich begeistert und sich darauf mit Leichtigkeit und Freude fokussiert. Auch ist der Austausch viel spannender, wenn jede:r etwas anderes macht und man sich gegenseitig bereichern kann.