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MUT, nur MUT

Text: Laura Letschert
Fotos: Unsplash & Julia Walter
09.06.2021
Frau hat Angst
Mut. Ein kleines Wort mit großer Wirkung. Mir fallen wenig andere Begriffe ein, die bei mir so viel bewegen. Deswegen freue ich mich umso mehr, mich diesem Thema im 3. Artikel der Genki Selbst Entdeckerinnen Reihe zu widmen und meine Gedanken mit dir zu teilen. Doch zunächst die Frage an dich:
Was bedeutet es für dich mutig zu sein?

Nimm dir ein paar Minuten, um sie für dich zu beantworten - gerne mit Blatt und Stift. Versuche dabei so konkret, wie möglich zu sein und auf Floskeln oder Pauschalaussagen zu verzichten. Formuliere dein ganz eigene Antwort - radikal liebevoll ehrlich. (Kleine Teaser: Du brauchst deine Antwort nochmal am Ende des Artikels.)

Auch ich habe mir diese Frage gestellt und war erstaunt, wie vielschichtig mir der Begriff auf einmal vorkam, den ich vorher relativ "belanglos" verwendet habe.

Was heißt es mutig zu sein?

Zunächst habe ich darüber nachgedacht, in welchem Zusammenhang mir das Wort im Alltag begegnet und wie unterschiedlich es besetzt wird. Dabei war eine häufige Erfahrung präsent, die mir einen wesentlichen Aspekt von Mut deutlich machte. Wenn ich Menschen das erste Mal begegne und von mir erzähle, dann höre ich oft den Satz: "Wow! Das ist aber mutig, dass du dich Mitte 20 selbstständig gemacht hast!" Das überrascht mich immer wieder, denn ja klar, für mich war die Entscheidung zur Selbstständigkeit mit einer großen Vorfreude, Aufregung und Respekt verbunden - aber als "mutig" hätte ich mich deswegen nicht bezeichnet, denn: Ich hatte keine Angst.

Den eigenen Ängsten begegnen

Die eigene Angst entscheidet darüber, ob wir eine Handlung als mutig einstufen oder nicht. Auch der Duden definiert Mut so: "Mut= Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden; Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte."

Diese Angst ist natürlich subjektiv und kann so vielfältig sein, denn was ist neutral betrachtet eine Situation, in der man Angst haben könnte? Für einen ungeübten Kletterer kann es furchteinflößend und auch sehr gefährlich sein, einen Berg hochzuklettern. Hier schützt die Angst im Zweifel vor dem Absturz und bringt den ungeübten Kletterer erst einmal in die Kletterhalle, bevor es in die Berge geht. Für einen ungeübten Redner wird es natürlich nicht lebensgefährlich vor einer Menschenmenge zu sprechen und dennoch kann es ihn in totale Panik versetzen.

Wir beschäftigen uns an dieser Stelle auch nicht mit extremen Formen der Angst, wie Traumata, Phobien oder Angststörungen, die es auch gibt und bei denen es sehr gute Hilfs- und Therapieangebote gibt.

Wo ich gerne mit dir ansetzen möchte: Wenn wir über Mut sprechen, dann bedeutet es die eigenen Ängste anzunehmen, uns ihnen zu stellen und sie Schritt für Schritt zu überwinden. Damit wachsen wir an jeder Erfahrung, stärken unsere Ressourcen und werden mutiger. Um das zu tun, muss ich mir erst einmal über meine Ängste bewusst werden.

Am häufigsten stehen drei große Urängste hinter der offensichtlichen Angst:

  • Die Angst vor Ablehnung
  • Die Angst vor dem Scheitern
  • Die Angst vor dem Verlust

Nimm dir jetzt gerne wieder einen Moment, um für dich schriftlich zu reflektieren:

  • Was traust du dich nicht?
  • Welche Angst steckt dahinter?

Manchmal neigen wir in unserer ersten Antwort dazu, Extremsituationen aufzuschreiben. "Mit einem Schiff allein die Welt umsegeln", "ein Fallschirmsprung" etc. Natürlich kannst du auch all diese Dinge für dich benennen. Ich möchte dich jedoch einladen, deine lebensnahen, ja alltäglichen Ängste zu definieren. Auch wenn sie dir jetzt nicht direkt einfallen, so kannst du sie sehr gut im Alltag beobachten und wahrnehmen, wann du dich etwas nicht traust oder wann du etwas aus Angst zurückhältst.

Auch hier gibt es wieder die verschiedensten Gesichter von Angst:
Es kann sein, dass ein Feuerwehrmann, der todesmutig in Häuser geht, um Menschen vor den Flammen zu retten, seine Angst überwinden muss, um seiner Frau von seinen finanziellen Sorgen zu erzählen.
Einer erfolgreichen Unternehmerin, die 300 Menschen durch Krisen führt, kann es Angst machen, einen unterschwelligen und langjährigen Konflikt in der Familie, endlich anzusprechen.

Mut und Selbstvertrauen

Schenk dir jetzt nochmal einen zweiten liebevollen, ehrlichen Blick auf dich selbst:

  • Was möchtest du dich endlich trauen?
  •  Wofür wünschst du dir Mut?

„Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut, sondern Selbstvertrauen." Vielleicht hast du diesen Spruch schon gehört. Ich finde es braucht beides. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel von gesundem Selbstbewusstsein und Mut. Je häufiger ich mich mutig meinen persönlichen Herausforderungen stelle und diese überwinde, desto mehr Selbstvertrauen und Lösungsstrategien für die nächsten Aufgaben gewinne ich. Je größer mein Selbstvertrauen ist, desto mutiger werde ich neuen Situationen gegenübertreten. Und ich kann grundsätzlich ein großes Vertrauen in mich haben und doch fehlt mir an einem gewissen Punkt die Extraportion Mut, um mir die Angst zu nehmen. Wenn ich an so einem Punkt bin, dann frage ich mich: "Was ist das Schlimmste, was passieren kann?"

Furchteinflößend oder unbequem?

Diese Frage ist meine Geheimwaffe (auch im Coaching), weil sie es bisher immer geschafft hat, die Ängste realistisch einzuordnen und auch die realistischen Konsequenzen zu verdeutlichen. Außerdem folgt fast immer ein Lachen und Enttarnen, der vermeintlichen Angst als eigentliche Unbequemlichkeit. Oft trauen wir uns nicht. Nicht, weil uns eine Angst zurückhält, sondern aus Bequemlichkeit in der Komfortzone. Das fühlt sich dann auch nicht wie ein hungriger Säbelzahntiger (Bedrohung) vor mir an, sondern eher wie einem Spaziergang im Regen und Sturm - ohne Regenjacke. Hier hilft die Aussicht auf ein neues schützendes, gemütliches und wärmendes Zuhause nach dem Spaziergang oder auch das Gefühl, dass ich mich auf dem Weg im Regen und Sturm so richtig lebendig fühlen werde. Es wäre bequemer für mich, nicht mutig zu sein, aber durch diese Einordnung, schenke ich mir eine klare Haltung und auch Leichtigkeit, die Challenge anzunehmen und vor allem in vollen Zügen zu leben!

Es zählt deine Beherztheit und deine Entschlossenheit

Ja, wir können wieder so viel über uns entdecken in einem einzigen Wort. Ich möchte noch zwei weitere Facetten von Mut beleuchten, die mir am Herzen liegen. Mut, so denken wir oft, kommt laut und auffällig daher.

Es geht aber aus meiner Sicht beim mutig sein nicht darum, laut zu sein (da erlebe ich leider häufig eher viel Lärm um Nichts), sondern wahrhaftig DU selbst zu sein und für deine Bedürfnisse, Überzeugungen und Sehnsüchte einzustehen.

Um dir ein konkretes Beispiel zu geben: Um Alltagsrassismus bei deinen Verwandten zu thematisieren, brauchst du kein Plakat und ein Megaphon, sondern deine Stimme, deine Perspektive, dein Gesicht, präsent bei der nächsten Diskussion. Trau dich, zeig dich und steh für das ein, was von Bedeutung für dich ist - auf deine Art und Weise.

Passend hierzu schreibt der Duden über die Herkunft von Mut: "mittelhochdeutsch, althochdeutsch muot = Gemüt(szustand); Leidenschaft; Entschlossenheit, Mut, Beherztheit"

Ich mag vor allem den Begriff der Beherztheit, der sich in meinem Gemüt also meiner Haltung und meinem Verhalten deutlich macht. Mit Entschlossenheit bringe ich mich mit ganzer Seele ein und gehe los für etwas, was wesentlich für mich ist. Und das bedeutet vor allem: Don´t tell me - show me!

Mutig sein heißt zu handeln!

Und hier kommen wir zum letzten, für mich wichtigsten Aspekt: Für mich bedeutet mutig zu sein, nicht nur über das Mutig sein und seine mutigen Vorhaben zu reden, sondern vor allem zu machen. Wahrscheinlich erinnerst du dich auch noch an die ein oder andere Mutprobe aus deiner Kindheit oder Jugend. Hier galt es zu zeigen, dass wir es wirklich ernst meinen und nicht nur große Töne spucken. Erst durch unsere Tat zeigt Mut seinen wahren Effekt. Erst durch mutiges Handeln werden wir etwas bewirken und erreichen (im Innen und im Außen).

Der Duden schreibt hier: "[grundsätzliche] Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält."

Mut als sozialer Klebstoff

Mutig sein bedeutet auch den bequemen und sicheren Standort zu verlassen und sich für etwas einzusetzen, wovon ich aus ganzem Herzen überzeugt bin. Die Fähigkeit Mut zu entwickeln macht uns als Menschen aus! Dabei basiert die Fähigkeit mutig zu sein vielmehr auf einem brennenden Gefühl als auf einem Gedanken. Ein Gefühl, was aus unseren eigenen Werten und unserer Moral entspringt und aufgrund dessen wir dazu bereit sind, mögliche negative Konsequenzen zu tragen und einen Preis zu zahlen.

Mut ist für mich wie ein sozialer Klebstoff der die Gesellschaft zusammenbringt und zusammenhält. Durch Menschen, die den Mut aufbringen, sich für das Wohl eines anderen Menschen oder das Gemeinwohl einzubringen - ohne Selbstnutzen und wohlmöglich, trotz drohender Risiken. Das sind die großen Namen der Geschichte, von denen viele diesen Mut mit dem eigenen Leben bezahlt haben und das sind die tagtäglichen Heldentaten, (die leider nicht so sehr in den Medien gezeigt werden) wie zum Beispiel eine Frau, die auf der Straße einen Streit beobachtet und dazwischen geht, um ihn zu schlichten und Gewalt zu verhindern. Uns mutig für andere einzusetzen, zeigt, dass wir uns nicht gleichgültig sind, dass uns unsere menschlichen Werte nicht gleichgültig sind und genau das macht für mich die Qualität des menschlichen Seins aus.

Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen: Mut ist nicht mit Extreme, Radikalität oder Waghalsigkeit gleichzusetzen und es ist auch mutig, die eigenen Grenzen und die von anderen zu kennen und zu wahren! Zum Schluss möchte ich in unserer modernen "Höher, schneller, weiter Welt" noch diese Message mitgeben: Mutig sein ist kein Wettbewerb, bei dem es um die krasseste, mutigste Entscheidung und Handlung geht.

Mut zeigt sich in meinen Augen durch jede noch so kleine absichtsvolle Handlung von jedem einzelnen und von uns als Gemeinschaft! Mut ermöglicht uns Diskurse, öffnet uns die Augen, bricht Tabus, hinterfragt, eröffnet neue Wege und überschreitet alte Grenzen, reist Mauern ein. So konnte die Mauer, die Ost- und Westdeutschland trennte, 1989 von vielen Menschen eingerissen, die gemeinsam mutig waren und eben sich für das stark machten, was ihnen wichtig war!

Deswegen Mut, nur Mut - auf deine Art und Weise!

Ich danke dir, dass du mit mir diesen Exkurs gemacht hast, dass wir uns gemeinsam auf Entdeckungsreise begeben haben. Und jetzt gehen wir zurück an den Anfang. Hier hast du dir die Frage gestellt, was es für dich persönlich bedeutet. Deine Antwort ist Teil der Abschlussreflexion, die wie immer aus drei Fragen besteht:

  • Was erfährst du über dich selbst, wenn du dir deine Definition durchliest?
  • Mutig sein: Welche Ergänzungen, Fragen, neuen Perspektiven hast du im Artikel für dich entdeckt?
  • Wo erlebst du dich mutig in deinem Alltag?

Ich wünsche dir also viel Freude beim weiteren Entdecken und Mutig sein - auf deine Art und Weise!