Gerade das letzte Jahr - das Corona Jahr - hat mich viel über unseren Geruchssinn nachdenken lassen. Durch einen Virus temporär den Geschmack verlieren? Bedeutet das, seine Erinnerungen und Emotionen auf Snooze-Modus zu schalten? Die Unsicherheit nicht zu wissen, welche Auswirkungen das mit sich bringt - ob wir wieder normal Schmecken oder Riechen werden - ob eine abgestumpfte Form des Geruchssinnes unser Alltag werden soll, ob es überhaupt Auswirkungen haben wird? Das waren meine ersten gedanklichen Fragezeichen.
So oft wird der Leitspruch “Immer der Nase nach” in Artikeln zu dem Thema Duft und Geruchssinn zitiert. Weil unsere Nase, auch wenn ihre Funktion als Sinnesorgan so wenig Aufmerksamkeit von uns bekommt, so gezielt und gegenwärtig unseren Alltag leitet - oder sogar bestimmt. Unsere Assoziationen mit Erlebnissen, mit Orten, mit Objekten der Begierde werden von unserer Nase angeführt.
Ein Großteil der Duftstoffe, die in uns mit jedem Atemzug hineinfließen, nehmen wir nicht bewusst wahr. Daher wird das Riechen auch als der „stille Sinn“ bezeichnet. Augen zu und riechen: Die Kunst liegt darin die unterbewussten Informationen ins Bewusste zu überführen, denn nur unter bewusster Wahrnehmung können wir Düfte erkennen und Verbindungen zu unserer inneren Welt schaffen.
Düfte sind allgegenwärtig: Es sind über 99% aller Arbeitsschritte, die das Gehirn unterbewusst verarbeitet, laut Neurowissenschaftler Gerhardt Roth. Die Wahrnehmung der Duftmoleküle ist höchst subjektiv und hat wahnsinnig viel mit Achtsamkeit und Bewusstsein zu tun.
Plötzlich ist sie da - die Erinnerung der Begierde, der Emotionen, der Lust - die durch einen Geruch ausgelöst wird und zum Handeln anregt.
Es ist eine Tatsache, dass der Geruchssinn, jener Sinn ist, der am engsten mit unseren Erinnerungsspeicher des Gehirns verbunden ist. Laut Karl Grammer (vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie) reagieren wir schnell emotional auf Gerüche, weil sie zunächst in unserem unterbewussten System verarbeitet werden, bevor sie in die Großhirnrinde wandern. Hier sitzt die bewusste Wahrnehmung.
“Der Duft war schon immer der Schlüssel, der Türen aufschließt [...] eine Tür zur Vergangenheit, die darauf wartet, wieder geöffnet zu werden.” (Vgl. The Essence - Discovering the World of Scent, Perfume & Fragrance, Die Gestalten Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2019, S.3.) Doch genauso schnell, wie er Türen der Vergangenheit öffnen kann, kann er Türen der Gegenwart auch wieder schließen.
Der Geruchssinn, ist der einzige Sinn, den man nicht konservieren und über Jahre hinweg weitergeben kann. Düfte und Gerüche sind vergänglich. Um Gerüche zu erleben, müssen wir mit ihnen sein – allgegenwärtig.
Aufgrund der Wechselwirkung von Gerüchen und Erinnerungen ist der Geruchssinn in der Geruchsforschung einer der essentiellsten Rekognitionsmethoden.
Düfte dringen durch unsere Nasenlöcher in uns ein und werden im nächsten Schritt in chemische Signale der Duftmoleküle, in elektrische Signale umgewandelt, wobei jede Geruchsinformation sein eigenes Muster definiert und in unserer autobiografischen Geruchs-Datenbank abgespeichert wird. Diese ist so nah mit unserem Gehirn verbunden, viel näher als beispielsweise unser Sehsinn.
Duftmoleküle sind Reize, die durch Rezeptorzellen (Riechzellen) wahrgenommen werden können. Die Nase der Kanal durch den Duftmoleküle einströmen, zusammengefasst und an unser Gehirn geschickt werden. Der Sitz unseres Geruchssinns liegt in der Nasenschleimhaut. Dort werden Reize durch Riechzellen wahrgenommen. Die Qualität der olfaktorischen Wahrnehmung wird garantiert, da sich diese Rezeptorzellen alle 30 bis 40 Tage regenerieren. Jedoch zählen nur zwei bis vier cm2 große Bezirke der Schleimhaut zu unserem Geruchssinn.
Diese Bezirke enthalten die Nervenzellen, die Axone (Nervenfasern), die sich zu Riechfasern bündeln und in das Gehirn führen. Axone leiten die Duft-Reize also zu unserem Riechkolben oder auch “Bulbus Olfactorius” genannt, der dann den Duft identifiziert und erkennt. Der Riechkolben ist Teil des bereits genannten Limbischen Systems unseres Gehirns. Diese enge Bindung ist dafür verantwortlich weshalb Gerüche unseren Hormonhaushalt stimulieren und unsere Stimmungen regeln. Geruchsstoffe sind wahre Botenträger unserer Innenwelt. Daher ist die Geruchs-Datenbank oft nonverbal, diffus, assoziativ und sehr persönlich.
Für jeden Duftstoff gibt es einen Empfänger, der genau auf die Duftmoleküle zugeschnitten ist. Wir haben unterschiedlichen Riechzelltypen, die alle unterschiedliche Duftmoleküle erkennen. Um alle Duftkomponenten eines kompletten Dufts erfassen zu können, müssen die unterschiedlichen Riechzellen zusammen funktionieren.
Wie viele unterschiedliche Duftmoleküle oder Gerüche wir wirklich riechen können - wird debattiert. Wissenschaftler haben 2014 angenommen, dass wir 10.000 Duftmoleküle riechen können. Um das in ein Verhältnis zu setzen: Es gibt rund 400.000 verschiedene Geruchsstoffe bestehend aus unterschiedlichen Duftmolekülen auf der ganzen Welt.
Interessant ist, dass die meisten von uns, von klein auf die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen - süß, sauer, salzig, bitter und umami - lernen und deuten können. Im Hintergrund bleibt aber was unsere Nase identifizieren kann. Was können wir eigentlich alles riechen?
Die Vielfalt des Geschmacks, die unterschiedlichen Noten eines Weines, kann man nicht allein mit den fünf Geschmacksrichtungen wahrnehmen. Für diese Feinheiten brauchen wir unsere Riechzellen. Der Genuss im Leben folgt also unserem Riechepithel.
In dem Fachmagazin PLOS One wurden, im Jahr 2013, von einem amerikanischen Forscherteam zehn Grundgeruchskategorien veröffentlicht: wohlriechend, holzig-harzig, fruchtig (nicht zitrisch), chemisch, minzig, beißend, faulig, süß, Zitrone sowie Popcorn. Diese Basisgerüche sollen die gesamte Duftpalette abbilden. Die Studie baut auf einer der wichtigsten Werke der Geruchsforschung auf: "Atlas of Odor Character Profiles" (Atlas der Gerüche, 1985) von Andrew Dravnieks, welcher 140 Geruchsprofile erläutert.
Es bleibt allerdings - auch nach zahlreichen Forschungsversuchen - unklar, wie viele Arten von Gerüchen es wirklich gibt. Weiterhin bleibt die Bekanntheit der Duftkategorien unpopulärer als die 5 Geschmacksrichtungen – selbst bei einer Duftkategorie, wie Popcorn.