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Mama sein und Karriere machen:

Geht das überhaupt?
Text: Julia Felicitas Allmann
Fotos: Lisa Bastian
24.11.2021
Frau mit Kind arbeitet am Schreibtisch
Nach der Geburt wieder voll in den Job einsteigen – und erwarten, dass man ganz die Alte ist. Eine falsche Annahme, nach der viele von uns leben. Wir haben uns angeschaut, wie aktuell die Lage für Frauen ist, die auch als Mutter Karriere machen wollen. Außerdem haben wir Tipps von einer Expertin eingeholt, wie Mamas im Business und Familienleben ihren eigenen Weg gehen können.

Die Businesswelt ist ein Thomas-Kreislauf. Denn sehen wir mal von sozialen Berufen ab, dann läuft es so: Thomas befördert Thomas, Michael setzt Michael auf den nächsten Chefsessel. Und die Namen hierbei sind kein Zufall. Eine Studie der Allbright-Stiftung
zeigte, dass die Vorstände von börsennotierten Unternehmen nicht nur extrem männlich und eintönig sind – die Namen Thomas und Michael sind besonders stark vertreten. Denn jeder stellt gerne jemanden ein, der ihm selbst ähnlich ist. Das bestätigt ihn selbst und so geht man kein Risiko ein. Offenbar geht das sogar bis zum Vornamen.

Ein weiterer Fun Fact der Studie: Im September 2019 gab es in den Vorständen erstmals mehr Frauen als Männer, die Thomas oder Michael hießen. Immerhin ein positiver Trend, trotzdem kommen die Studien-Macher:innen zu dem ernüchternden Satz: „Frauen fallen fast vollständig durchs Raster.“

Ob das nur daran liegt, dass Frauen Mütter werden (können), ist nicht belegt. Doch die Geschlechterungerechtigkeit ist klar zu sehen – und für Frauen ist Aufstieg noch immer oft ein härterer Kampf als für männliche Kollegen. Sich hier durchzuboxen und dabei nur in Teilzeit zu arbeiten, weil man um 15 Uhr die Kinder aus der Kita holt: fast unmöglich.

Lisa Bastian: systemischer Coach, Yogalehrerin

„Stark männlich geprägte Gesellschaft“

„Natürlich kommt es oft vor, dass Kolleg:innen oder Kund:innen eine Frau anders behandeln oder betrachten, nachdem sie Kinder bekommen hat“, sagt Lisa Bastian, die als systemischer Coach auf Mütter spezialisiert ist und dafür die Marke „Mamasté Cards“ erschaffen hat. „Muttersein hat in unserer Gesellschaft noch nicht den Stellenwert, den es meiner Meinung nach haben sollte. Andere Kulturen sind da weiter, aber wir leben in einer stark männlich geprägten Gesellschaft und in einer Leistungsgesellschaft.“

Wer nach Geburt und Elternzeit zurück in den Job kehrt, hat nicht nur die Herausforderung, dass zeitliche Verfügbarkeiten und eigene Prioritäten plötzlich anders verteilt sind: „Es wird oft verkannt, dass Mütter in der Zwischenzeit eine große persönliche Weiterentwicklung durchgemacht haben“, sagt Lisa. „Mutter zu werden ist wie ein Boot Camp. Diese neue Erfahrung, die Veränderungen mit Blick auf den Körper, auf Beziehungen, auf das komplette Leben: Das alles führt zu einer großen persönlichen Weiterentwicklung. Eine Frau kommt als andere Person zurück ins Unternehmen – und das passt oft nicht mehr zu den alten Anforderungen.“

Denn Schwangerschaft und Geburt sind nicht eine Auszeit wie jede andere: „Frauen werden eingeladen, stark in ihre weibliche Energie zu gehen. Sie ist mehr darauf bedacht, anzunehmen, fließen zu lassen. Zur Ruhe und Einkehr zu kommen, loszulassen. Das brauchen wir sehr stark in der Schwangerschaft und es ist eine großartige spirituelle Erfahrung“, sagt Lisa. „Aber es passt natürlich nicht gut in die Leistungsgesellschaft, in der es immer um höher, schneller, weiter geht. Dabei wünsche ich mir, dass wir Frauen uns trauen, dieser weiblichen Energie viel mehr Raum zu geben und sie als etwas Kraftvolles und Wertvolles zu sehen.“

Passt das Unternehmen noch zu mir?

Wie die eigene Weiterentwicklung auch aussah, oft merken Frauen durch den neuen Fokus plötzlich: Das Unternehmen passt gar nicht mehr zu mir. Oder: Wir selbst könnten an die alte Situation anknüpfen – aber es gibt sie nicht mehr. „Vielleicht hat sich das Unternehmen während der eigenen Abwesenheit gewandelt. Vielleicht sind Führungskräfte gekommen oder gegangen, vielleicht haben sich Abteilungen zusammengeschlossen. Dann liegt die Herausforderung ein Stück weit darin, sich anzupassen.“

Aber Anpassung sollte nicht immer das Ziel der Mutter und Mitarbeiterin sein: Chef:innen legen Meetings auf 17 Uhr, haben kein Verständnis für Home-Office-Tage? „Dann gibt es natürlich einen Interessenskonflikt“, sagt Lisa. „Die eine Partei vertritt die Anforderungen des Unternehmens, die andere Partei bringt die Anforderung mit, dass sie selbst ein kleines Unternehmen zuhause leitet, in dem viel organisiert werden muss. Hier ist es sehr wichtig, klare Meinungen zu vertreten und in den Dialog zu gehen: Wie können wir die Anforderungen in Einklang bringen? Wie können wir das kompatibel machen? Es ist für beide Seiten eine Chance, daran zu wachsen.“

Doch natürlich müssen Unternehmen offen für diesen Dialog sein. Erwarten Führungskräfte, dass Mamas genauso funktionieren wie kinderlose Frauen oder eben Männer: Dann scheitert der Dialog. Und dann besteht die Gefahr, dass Chef Thomas in Zukunft lieber wieder einen Thomas einstellt.

Denn trotz aller Gleichberechtigungsbewegungen und Fortschritte in den letzten Jahrzehnten ist es noch immer so, dass vor allem Frauen in Teilzeit arbeiten. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2020 zeigt, dass in Westdeutschland die Teilzeitquote von Frauen bei 48,6 Prozent liegt, im Osten ist die Zahl mit 34,7 Prozent niedriger – doch die Konstellation „Mann arbeitet in Vollzeit, Frau in Teilzeit“ ist das weitverbreitete Modell.

(Fast) überall das klassische Modell

Selbst in meinem Umfeld ist es so: Ich lebe in Köln, in einem urbanen Stadtteil mit vielen jungen Familien. Ich würde mich und meinen Freund:innenkreis als aufgeklärt, modern und gleichberechtigt bezeichnen. Und trotzdem sind es die Mamas, mit denen ich mich nachmittags zum Play Date und beim Kinderturnen treffe. Für die Väter gibt es Spielplatztreffen oder Schwimmkurse am Wochenende. Wenn ich meinen Sohn aus der Kita abhole, erkläre ich, dass Papa noch arbeitet – genau wie der Papa des Freundes, den wir gleich besuchen. Und füge immer hinzu, dass ich bis gerade auch gearbeitet habe. Mir ist es wichtig, dass er das weiß – aber Gleichberechtigung sieht anders aus.

Ein einziges Paar kenne ich, das von Anfang an auf 50:50 gesetzt hat und bei dem die Mutter später voll in den Job zurückkehrte, während der Vater die Spielplatz-Nachmittage übernimmt. Er ist dort der Exot und wird oft gefragt, wie es so läuft. Dann gibt es die Fälle, bei denen der Mann mal in Eltern-Teilzeit geht und ein Jahr lang auf 70 Prozent reduziert. „Danach will er wieder voll einsteigen, er sorgt sich schon um seine Karriere“, sagte eine Freundin letztens.

Wir könnten es alle selbst ändern, aber irgendwie tut es fast niemand. Coach Lisa rät in jedem Fall zu offener Kommunikation innerhalb der Beziehung: „Die Partner sind wie Geschäftspartner. Wir können sie als zwei gemeinsame Geschäftsführer betrachten, die absprechen, wer welche Aufgaben übernehmen möchte. Im besten Fall hat man schon vor der Geburt darüber gesprochen.“ 

„Die Partner sind wie Geschäftspartner. Wir können sie als zwei gemeinsame Geschäftsführer betrachten, die absprechen, wer welche Aufgaben übernehmen möchte. Im besten Fall hat man schon vor der Geburt darüber gesprochen.“

Hilfreich sei zum Beispiel ein Vision Board, in dem das Paar festhält, wo es gemeinsam als Familie hinmöchte. „Es kann natürlich sein, dass eine:r mal ein Stück zurücktreten muss. Aber wenn das abgesprochen ist und der- oder diejenige damit im Frieden ist, dann ist es auch in Ordnung“, sagt Lisa. „Das Allerwichtigste ist es, in die Kommunikation zu gehen und zu sagen: Mir fehlt gerade etwas, ich möchte gerne wieder mehr arbeiten.“

Die Hürde im Kopf der Frauen

Oft ist es vor allem für Frauen eine Hürde, so etwas zu äußern. Sollte eine Mama nicht am liebsten rund um die Uhr beim Kind sein wollen? Wird sie als karrierefokussiert abgestempelt? Und was, wenn der Partner dagegen ist? „Ich erlebe es oft, dass der Mann dann sagt: Ich fände es toll, unser Kind mehr zu erleben und vielleicht sogar Vollzeit-Papa zu sein. Trotzdem bleibt die Hürde, weil es gesellschaftlich so tief verankert ist und wir selbst voraussetzen, dass es in der bekannten Form zu sein hat.“ Doch jede:r kann etwas daran ändern – wenn wir uns trauen, offen darüber zu reden.

In all diesen Überlegungen geht es um heterosexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau. Es gibt die These, dass gleichgeschlechtliche Elternpaare es zumindest in der Gleichberechtigung innerhalb der Beziehung leichter haben, weil sie nicht von den gesellschaftlichen Mann-Frau-Stereotypen geprägt sind. Doch Lisa fügt hier hinzu: „Ich glaube, in allen Arten von Beziehungen geht es immer darum, wie gut das Paar aufgestellt ist. Wie offen und transparent werden Bedürfnisse kommuniziert? Darauf kommt es immer wieder zurück.“

Eine Bekannte sagte mir einmal, sie würde sofort ein zweites Kind bekommen – wenn diesmal der Mann die Aufgaben von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit übernehmen könnte. Sie liebe es, Mama zu sein, aber sie wäre gerne nicht auf diese Rolle festgelegt. Sie wollte mehr arbeiten, weniger das klassische Mutterbild erfüllen. Von ihr stammt auch der sehr ehrliche Satz nach der Geburt vom ersten Kind: „Es ist alles total schön, aber ich fühle mich kognitiv unterfordert.“ Ihr Partner arbeitete da schon längst wieder in Vollzeit.

Das eigene Energiefass aufladen

Neben all der Ungerechtigkeit, die manchmal in Stereotypen liegen und oft in genetischen Voraussetzungen, und die nicht immer durch offene Gespräche aus der Welt gebracht werden können, bleibt die Tatsache: Es ist einfach extrem anstrengend, Mama zu sein und gleichzeitig Karriere zu machen. „Das Energielevel als Mutter ist natürlich ein ganz anderes als vor der Schwangerschaft“, sagt Lisa. „Vielleicht schläft das Kind nicht durch und außerdem fordert es nach der Arbeit die gesamte Energie und Aufmerksamkeit der Frau. Es bleibt meistens keine Me-Time, um Akkus aufzuladen. Mütter sind auch nach dem Job stark gefordert, sie geben permanent.“

Und das kann auf Dauer nicht gutgehen: „Es ist wie beim Energiefass, das mit Wasser gefüllt ist“, sagt Lisa. „Wenn ich nur Wasser abgebe und es nie auffülle, dann schwindet meine Energie.“ Deshalb ist so wichtig, die Akkus wieder aufzuladen – auf eine Art, die individuell passt. „Die Slots für Mütter sind natürlich deutlich kürzer“, gibt Lisa zu.

„Sie haben nicht immer eine Stunde am Tag für Meditation, Yoga oder sonstige Self Care. Deshalb ist es so wichtig, Tools zu erlernen, die schnell funktionieren und den Körper in Ruhe bringen.“

Wer idealerweise schon vor der Geburt Meditationen oder Atemtechniken gelernt hat, die gut funktionieren, bringt dem Körper bei: Wenn ich damit beginne, kann ich sofort herunterfahren.

Idealerweise wirken solche Techniken dann nicht nur, wenn die Kinder kurz vor Schlafenszeit noch einmal voll aufdrehen und das eigene Energielevel ziemlich low ist. Sondern auch dann, wenn die Chefin weitere Ideen fordert, noch längere Meetings ansetzt oder eine Verhandlung über die künftige To-do-Verteilung ansteht.

Ein weiteres Werkzeug, das immer hilft: Hilfe annehmen und um Unterstützung bitten. Frauen müssen nicht alles alleine machen, sie müssen nicht nebenbei noch die Wohnung putzen, Kuchen backen und Wäsche bügeln. Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten, Aufgaben abzugeben. An Familienmitglieder, an externe Services, auch an den eigenen Partner. „Als Unternehmerin schaue ich auch immer: Was kann ich gut, was mache ich gerne und was muss ich unbedingt selbst machen? Viele andere Dinge kann ich abgeben, weil sie nicht meinen Stärken entsprechen oder zu viel Kraft kosten – so ist es als berufstätige Mama auch.“

Mama sein und Karriere machen: Geht das überhaupt?
Lisa Bastian ist systemischer Coach, Yogalehrerin (unter anderem für Prä- und Postnatal) und legt einen Schwerpunkt ihrer Arbeit und in ihren Kursen auf das Coaching von schwangeren Frauen und frischgewordenen Eltern. Ihre Kartensets „Mamasté Cards“ bieten Reflektions-Übungen und Impulse für Paare für die Zeit vor und nach der Geburt, auch in ihrem Podcast
dreht sich alles um das bewusste und erfüllte Leben als Familie. Mehr Informationen zu Lisa findest du auf ihrer Website und bei Instagram.