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Auf ins stille Abenteuer

Text: Laura Letschert
Fotos: Unsplash
20.07.2021
Wasser mit Tinte
Liebe Genki Selbst-Entdeckerin, wie geht es dir gerade? Und ich meine damit: Wie geht es dir wirklich?

Meistens bedarf es erst Mal ein „Lüften des Schleiers“, um dir diese Frage ehrlich zu beantworten. Ich benutze gerne das Bild eines Schleiers oder des Nebels, um unseren Alltag in einer modernen Welt zu beschreiben. Einem Alltag eingehüllt in ein ständiges Grundrauschen, das uns davon ablenkt im echten Kontakt mit uns selbst zu sein.

Das Grundrauschen der modernen Welt

Dieses Grundrauschen ist für die meisten von uns kaum noch spürbar, weil es immer da ist: Es besteht zum einem aus den Alltagsgeräuschen in der Stadt und auf dem Land, wie Verkehrslärm, Arbeitslärm, Baulärm, Fußgängerzonen etc., zum anderen aus unseren ständigen Begleitern wie Smartphones, Nachrichtendiensten, Soziale Medien, Plattformen, Apps, Telefonaten, Texten, Bildern, E-Mails, Serien, Podcasts, Musik usw. Dabei umfasst dieses Grundrauschen neben den akustischen auch visuelle Reize. Reize, die uns in einer Vielzahl, hoher Geschwindigkeit und in Dauerschleife begleiten.

Daran haben aus meiner Sicht auch die letzten 1,5 Jahre nichts verändert. Ja, die Lautstärke wurde durch die Pandemie in vielen Bereichen unseres Lebens gedämpft, hat uns zur Entschleunigung verholfen. Und in anderen Teilen hat es an wahnsinnig an Geschwindigkeit aufgenommen und ist noch viel geschäftiger als vorher. Das Grundrauschen ist weiter da und es wird auch weiter da sein.

Vielleicht fragst du dich gerade: Aber was ist denn jetzt eigentlich das Problem mit diesem Grundrauschen?

Ich möchte hier auf die Eingangsfrage zurückkommen: Wie sollst du dich selbst wirklich hören können? Wie sollst du im Kontakt mit dir (Körper, Geist und Seele) sein und dich spüren, wenn du dich andauernd vom Außen ablenken lässt, bzw. treffender gesagt, dich selbst ablenkst?

Auf ins stille Abenteuer
Um es auf den Punkt zu bringen: Reizüberflutet im stetigen äußeren Grundrauschen, stumpfst du für deine innere Stimme und Signale ab und verlierst so den Kontakt zu dir selbst.

Die stillen Momente

Wenn ich mich gegenteilig an die Momente zurückerinnere, in denen ich mich am meisten gespürt habe und mir selbst ganz nah war, dann waren es im Wesentlichen die stillen Momente. Mir nah zu sein, soll hier übrigens keine Wertung sein, im Sinne von: Da habe ich mich besonders gemocht oder war besonders glücklich, sondern da habe ich mir selbst bedingungslos zugehört – egal ob es mir gefallen oder nicht gefallen hat, was ich da vorgefunden habe.

Erstes Fazit: Wir können also durch die Stille lernen, wieder echt mit uns in Kontakt zu treten. Dieser radikal liebevoll ehrliche Kontakt zu und mit uns selbst, ist ein Geschenk, das nur wir selbst uns im Leben machen können!

Warum stellen wir dieses Grundrauschen also nicht einfach ab und begeben uns mehr in die Stille?

Zum einen haben wir es verlernt, Stille als selbstverständlichen Teil unseres Alltags zu praktizieren. Wo und wann wird Stille in der modernen westlichen Welt überhaupt noch vorgelebt oder kultiviert? Im Gegenteil: Lautstärke und Bewegung werden schon allein von unserem Gehirn (evolutionär) mit besonders viel Aufmerksamkeit belohnt.

Zum anderen sichern wir uns so unbewusst ein Plätzchen in der bequemeren, lauten Komfortzone, denn wir fürchten uns auch teilweise davor, welche Gedanken, Emotionen, Fragen und Zweifel, in uns hochkommen könnten, wenn es auf einmal ganz still um uns wird. Doch genau hier lohnt es sich für uns leise zu werden, die Stille auszuhalten und hinzuspüren.

Ein stürmisch friedlicher Prozess

Am Anfang der Stille ist es meist so gar nicht still, sondern eher unruhig in uns. Es ist sogar ziemlich stürmisch, weil die unterdrückten, sonst dauerbeschallten Gefühle, Empfindungen und Gedanken in uns laut werden können und endlich Gehör finden oder weil wir vielleicht gar nicht wissen, was wir mit uns selbst anfangen sollen, wenn wir uns nicht gerade mit einem Song oder einer Nachricht ablenken. Das kann uns im ersten Moment Angst machen, anstrengend sein und uns abschrecken.

Doch es lohnt sich auszuhalten und anzunehmen, was dann in uns hochkommt. Und nicht direkt in den nächsten Lärm zu flüchten, wenn es unbequem wird. Denn, so wie Nichts im Leben von Dauer ist, wird auch dieser Sturm sich legen. Und dann wird, genau wie nach einem echten Sturm, auf einmal alles klarer und deutlicher, zeigt sich ruhiger und präsenter – in uns. Wir kommen in den Genuss von innerer Ruhe.

In sich ruhend

Ein Mensch, der in sich ruht, beschreibt in meinen Augen hingegen eine Person, die sich vom äußeren Lärm zurückzieht, um sich persönliche Momente der Stille zu kreieren. So kann sie sich in all dem Trubel noch (zu)hören und im zweiten Schritt sich fokussieren und zentrieren.

Fokus und Zentrierung sind wichtige Qualitäten, um uns selbst Sicherheit zu schenken. Und wie oben beschrieben bedeutet dieser Prozess des Aushaltens auch, dass wir die unterschiedlichsten Situationen annehmen und Frieden mit ihnen bzw. mit uns selbst schließen. Und was ich ganz besonders schön finde:

Durch die Stille, bekommen die stillen Seiten von uns mehr Präsenz in uns. Sie werden lauter und bedeutsamer.

Stille praktizieren

Mir war es ein Herzensanliegen über dieses Thema zu schreiben, da ich selbst so beeindruckende Erfahrung mit der Stille gemacht habe.

In meinen ersten eigenen Workshops, die ich in den Niederlanden veranstaltet habe, hatte ich eingeführt, dass die Teilnehmer zu Beginn ihre Uhren und Smartphones abgeben sollten, um sich ganz auf sich zu konzentrieren. Sie durften auch keine Zeitschriften, Bücher etc. mitbringen. Selbst die Redezeit war beschränkt, so dass wir immer wieder zusammen geschwiegen haben. Ich weiß noch, dass diese Regeln für die meisten Teilnehmenden einen echten Kampf mit sich selbst und auch dem Workshop bedeuteten und es wie ein Ding der Unmöglichkeit schien, 3 Tage nicht erreichbar zu sein. Doch was sich erst Mal nach Bootcamp anfühlte, war im zweiten Fühlen für alle ein Befreiungsschlag. Ich erinnere mich besonders an einen Teilnehmer. Er war am Anfang so unruhig, konnte nicht schlafen, bzw. war als erster wach und hat mehrere Tassen Kaffee am Tag getrunken. 

Ich weiß, das hört sich nach einer cheezy Verkaufssendung an, aber am dritten Tag, mussten wir ihn auch wecken (die Teilnehmer hatten ja keine Uhren und wurden deswegen von uns geweckt) und er hat nur noch Tee getrunken. Es war wirklich unglaublich, was bereits diese kurze Erfahrung von Stille für einen enormen Effekt hatte. Ein Highlight war mit Sicherheit der gemeinsame Schweigespaziergang in den Dünen.

Auch ich habe als Teilnehmerin ähnliche Erfahrung machen dürfen und profitiere bis heute davon, den leisen Aspekten in meinem Leben mehr Beachtung zu schenken. Und natürlich schreibe ich diesen Artikel, um dich zu inspirieren, diese Qualität ebenfalls für dich zu entdecken und dir die Stille (wieder) bewusst in dein Leben zu holen. Du weißt vielleicht schon aus den vorherigen Artikeln, dass ich ein Fan davon bin, es dir so leicht wie möglich zu machen und eben klein im Alltag anzufangen. Das heißt:

  • Stille zu schaffen und zur Ruhe zu kommen (keine Ablenkung, kein Konsum, ruhiger Ort)
  • Stille zu praktizieren und zu schweigen

Ja, ich bin auch beim Thema Stille davon überzeugt, dass wir sie grundsätzlich mit Leichtigkeit in unser Leben integrieren können. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass wir hier vor allem am Anfang dazu neigen, uns selbst auszutricksen und uns Ausreden einfallen lassen, diesem modernen Grundrauschen nicht entkommen zu können. Wir sind nicht konsequent genug, die Verführung der Zerstreuung zu groß.

Konsequent leicht

Natürlich sind zum Beispiel 10 min. ohne dein Handy besser als nichts, aber wenn du wirklich einen Effekt für dich erreichen möchtest, dann lege ich dir ans Herz, ganz bewusst „ins kalte Wasser zu springen“ und einen Tag oder ein Wochenende ohne Handy zu verbringen, denn nur so kann der Sturm, der wie anfangs beschrieben, in uns aufkommen wird, auch wieder zur Ruhe kommen und die Stille ihre echte Wirkung entfalten – Stille braucht Zeit und Konsequenz. Mönche verbringen ihr ganzes Leben damit, den stürmischen Geist zur Ruhe kommen zu lassen, sich zu fokussieren und so in ein bewusstes, achtsames Leben zu führen. Je geübter du bist, umso weniger Zeit wirst du brauchen, um still zu werden.

Für mich liegt die Lösung nicht in irgendeiner verkrampften Zeitangabe, wie lange du still sein „musst“, um einen Effekt zu spüren, sondern in deiner inneren Haltung, dass du trotz Konsequenz mit Leichtigkeit und nicht mit Zwang an die Stille heran gehst. Das du Lust hast, dich zu challengen, dich zu trauen und die stillen Seiten von dir kennen zu lernen. Such dir möglicherweise Unterstützung bei einer Freundin und verbringt zusammen ein Wochenende in der Natur – und nach dem Motto „Reden ist Silber – Schweigen ist Gold“ ganz ausgewählt miteinander zu sprechen.

Wie immer: Es gibt kein richtig oder falsch – lass dich treiben, in den Bann ziehen und mach dich auf ins stille Abenteuer! Lerne als neugierige Entdeckerin, der Stille und dir selbst (neu) zu begegnen Hier passt dann auch einer meiner Lieblingssprüche: „Weniger reden - einfach machen!“

Weniger reden – einfach machen!

Hast du Lust gleich jetzt damit anzufangen? Dann mach doch einen ersten Schweigespaziergang – ganz ohne Begleitung (zweibeinig oder vierbeinig), ohne Musik, ohne Uhr, ohne Handy, ohne Small Talk mit anderen Spaziergängern. Bleib bei dir und sei gespannt, was dir begegnet.

Journal im Anschluss folgende 3 Fragen, wenn du Lust hast:

  • Was verbindest du mit Stille? Schreibe alle (negativen und positiven) Aspekte auf! Was verraten deine Antwort über dich selbst?
  • Wo(durch) erfährst du im Alltag die größte Dauerbeschallung? Wo/wann/wie ist das Grundrauschen besonders laut?
  • Was sind die stillen Seiten in dir? Was wollen sie zaghaft zum Ausdruck bringen?