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Kintsugi

Was wir von der Kunst der Goldreparatur für das Leben lernen können
Text: Carina Rother
Fotos: Unsplash
19.07.2021
Japanische Teetasse
Kintsugi bügelt Makel nicht aus. Kintsugi hebt sie hervor! Kintsugi haucht Zerbrochenem neues Leben ein. Was können wir daraus für andere – vor allem emotionale – Lebensbereiche lernen? Das liest du jetzt.

Beginnen wir mit der Geschichte von Kintsugi. Die Goldreparatur führt uns weit in die Vergangenheit, in das 15. Jahrhundert. Sie geht auf den Shogun [jap. Adelsrang] Ashikaga Yoshimasa zurück. Als seine geliebte Teeschale eines Tages zerbricht, schickt er diese postwendend zurück nach China, um sie reparieren zu lassen. Gesagt, getan. Einige Zeit später erhält er die vermeintlich reparierte Schale zurück. Sie entspricht ganz und gar nicht seinen Vorstellungen. Erwartet hat er eine Teeschale, die wie neu aussieht. Zurück bekommt er allerdings eine Schale, die mit goldenen Klammern zusammengefügt wurde. Die Bruchstellen bzw. Reparaturspuren waren also ganz deutlich zu sehen. Sie werden im Japanischen Landschaft [keshiki] genannt.

Der Shogun freundet sich zwar mit der Methode an, bittet aber japanische Kunsthandwerker, eine Methode zu finden, die schöner anzusehen ist. Seither gibt es die Kunst von Kintsugi. Seither werden in Japan kaputte Keramik- und Porzellanteile aufwendig in kleinen Werkstätten, oft von Frauen geführt, zusammengeklebt. Die Kunst ist nicht mehr nur dem Adel vorbehalten, sondern ist für Jedermann. In zahlreichen Schulen werden entsprechende Kurse angeboten, um das Kintsugi so fachmännisch wie möglich auch daheim auszuführen.

Mittlerweile sind auch in anderen Ländern, wie in Deutschland, Kintsugi-Kits erhältlich, so dass man im trendigen DIY-Verfahren Kaputtes wieder reparieren kann. Dabei sind immer ein spezieller Lack/Kleber [jap. Urushi / うるし], ein Pinsel sowie goldenes Pulver, das in den Kleber eingerührt wird, um anschließend die Bruchstelle in einem glänzenden Goldton erstrahlen zu lassen. Je nach Aufwand, kann der Prozess länger oder kürzer andauern und bedarf viel Feingefühl. Der Lack wird in mehreren Schichten aufgetragen und poliert bis die einst gebrochenen Stücke sich ganz geschmeidig wieder in das Ganze einfügen und sie vollkommen machen.

Das Unperfekte erstrahlt nun in der Farbe des Erfolgs, des Wohlstandes, der Farbe des Reichtums. Gold ist wegen seines „Sonnenglanzes“ schon seit frühesten Zeiten das Metall der Götter, der Kaiser und der Könige.

Kintsugi und das Leben

Das japanische Kunsthandwerk lehrt uns Dinge wertzuschätzen. Sie nicht vorschnell wegzuwerfen, nur weil sie nicht mehr perfekt sind. Darüber hinaus wie wir Schritt für Schritt (emotionale) Verletzungen heilen können. Verletzungen aus gescheiterten Beziehungen oder Momenten, in denen uns das Leben anders in die Karten spielt, als es uns liebt ist: Wenn uns die Gesundheit im Stich lässt, der Job gekündigt wird, die Traumwohnung zum Albtraum wird – oder, oder, oder.

Jeder von uns kennt eine derartige Situation. Manchen können wir mit emotionaler Stärke begegnen, manchmal werfen sie uns regelrecht aus der Bahn. Es geht etwas kaputt, wie bei einer Teetasse, die hinfällt. Wenn das der Fall ist, dann:

  • Lerne anzunehmen:

    Nimm die Situation so an, wie sie ist. Es gibt Momente oder Dinge, die du nicht ändern kannst. Das gilt es zu akzeptieren und mit dem Gegebenen umzugehen.

  • Nimm dir Zeit und Ruhe:

    Diese brauchst du, um dich bewusst mit dem Geschehenen auseinander zu setzen. In Zeit und Stille kannst du dir deine Bruchstelle anschauen, reflektieren was und warum etwas passiert ist und daraus lernen. 

  • Beginne zu heilen:

    Jetzt geht es darum, deine Verletzungen zu heilen. Sie wie beim Kintsugi zu kleben, so dass sie sich in dein Leben einfügen. 

  • Stehe zu dir:

    Du bist perfekt so wie du bist - mit Fehlern, Makeln, Verletzungen, Bruchstellen. Stehe zu dir! Zeige dich so wie du bist und mit dem, was du erlebt hast. 

Schauen wir uns die einzelnen Schritte einmal intensiver an: 

Lerne anzunehmen

Der erste Schritt ist gar nicht mal der einfachste, oder? Oftmals verbergen wir unsere Bruchstellen und wünschen uns, dass sie von niemanden bemerkt werden. Wir vergraben sie so tief, das wir sie sogar selbst vergessen bis sie uns zu einem anderen Zeitpunkt wieder einholen. Dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Vergraben macht also gar keinen Sinn. 

Deine Bruchstelle gehört zu dir. Wenn dir etwas widerfahren ist, was dich tief verletzt hat, dann ist das okay. Es ist nichts, wofür du dich schämen musst. Du kannst dich im Prozess des Annehmens mit Affirmationen unterstützen, die dich stärken. Hier einige Beispiele für dich: 

"Ich bin wertvoll, egal was mir passiert."
"Ich erkenne meine Verletzungen in Liebe an."

Sei dabei geduldig mit dir und mache nichts anderes als das Geschehene anzuerkennen. Dafür musst du dich nicht gänzlich aus deinem Alltag zurückziehen. Versuche das Leben trotzdem weiterhin zu genießen. Zeige dich und gehe raus. Verbringe beispielsweise Zeit mit guten Freunden, die dir zur Seite stehen können. 

©: Sandra Sochas

Nimm dir Zeit und Ruhe

Zeit und Ruhe sind zwei wichtige Pfeiler, die du brauchst, um dich intensiv mit deinen Bruchstellen auseinander zusetzen. Sei dir bewusst, warum du wieder nach vorne schauen möchtest. Warum möchtest du deine Verletzungen hinter dir lassen und wieder voller Freude in die Zukunft schauen? Kennst du dein Warum? 

Wenn du dir die Zeit nimmst richtig hinzuschauen, stelle dir einfach vor, wie du deine Bruchstelle in der Hand hältst und sie wie eine Scherbe einer kaputten Teetasse ganz genau beäugst, um zu verstehen, an welcher Stelle sie sich wieder in das Ganze einfügt. Schaue dir Details an!

Was ist passiert? 
Warum ist es passiert? 
Wie hast du darauf reagiert? 
Was hättest du anders/besser machen können? 
Gibt es eine Botschaft? Was ist die Botschaft?
Welche meiner Fähigkeiten sollte ich stärken, damit ich beim nächsten Mal nicht mehr so arg leide?

Du kannst in dich auf deinem Weg unterstützen, in dem du deine Gedanken und Erkenntnisse aufschreibst. So kannst du in Zukunft (in schwierigen Situationen) darauf zurückgreifen. Und das Schreiben kann bei der Verarbeitung helfen. Schaue, wie es für dich richtig ist. 

Beginne zu heilen

Wir gönnen uns nicht zusammenkleben und gold anmalen, aber wir können heilen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Du hast hingeschaut, gelernt und verarbeitet. Well done! Wie kannst du heilen? Sei bei dir! Was tut dir gerade gut? Mache es. Beginne dir und dem Leben wieder zu vertrauen. Das geht mit kleinen Übungen, für die du etwas Mut brauchst, der sich aber ganz sicher auszahlen wird. Du hast beispielsweise ewig keine Freunde mehr zu dir eingeladen, weil du dich zurückgezogen hast, obwohl du so gern Gäste empfängst und kochst? There you go! Das ist deine Chance wieder deine Fähgkeiten zu leben und dich zu zeigen. 

Es kommt immer mal wieder vor, dass wir verletzt werden. Jetzt legst du den Grundstein dafür, wie du zukünftig damit umgehst. Deine Heilung ist deine Stärkung. Nimm dir einen Pinsel, goldene Farbe und male deine Bruchstellen aus, so dass sie leuchten und sichtbar werden.

Stehe zu dir

Lasse dein Leben jetzt noch wertvoller werden als vorher. Du bist perfekt so wie du bist. Schaue nach vorne, notiere deine neuen Ziele, agiere und sei der Schöpfer/die Schöpferin deines Lebens. Du hast es in der Hand. Nimm dich und deine Bedürfnisse ernst. Höre auf deine innere Stimme. Stehe zu deinem Unvollkommenen. Stehe zu dir! Egal, was andere Leute sagen. 


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