• G
  • e
  • n
  • k
  • i

Hochsensibel Mama sein: Man lernt nie aus

Tipps für Herausforderungen von einer dreifachen, hochsensiblen Mutter
Text: Carina Rother
Fotos: Kim Goebel
07.03.2023
Frau sitzt auf Stuhl
Wie fühlt sich eine hochsensible Mutter? Lisa ist 35 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Zwei von ihnen sind hochsensibel, das jüngste Kind ist noch zu klein, um das eindeutig zu sagen. Doch: Anzeichen gibt es. Lisa, Grundschullehrerin, steht in ihrem hochsensiblen Alltag vor Herausforderungen, die sie gut meistert und auf ihrem Instagram-Account teilt. Sie teilt ihre Erfahrungen mit ihren Follower:innen, gibt Tipps und authentische Einblicke ins Leben, die sie selbst gern für sich und ihren Weg gehabt hätte. „Auch wenn ich nun sechs Jahre von der Hochsensibilität weiß, bin ich noch nicht am Ende meiner Entwicklung. Nein, ich lerne jeden Tag wieder dazu und habe neue Erkenntnisse.“

Der Weg zur Hochsensibilität: Leichtigkeit durch Erkenntnis

Vor der Geburt ihres ersten Kindes, ihrer Tochter, wusste Lisa nicht, dass sie hochsensibel ist. „Schon immer habe ich gemerkt, dass ich anders bin“, erzählt sie. „Vor allem mit der Pubertät kam das Bewusstsein, für das anders sein.“ Das war für die junge Frau nicht belastend, aber auch nicht immer einfach. „Ich hätte gern früher gewusst, dass ich hochsensibel bin.“ Dann wäre sie auf die Herausforderungen, vor denen eine hochsensible Mutter steht, besser vorbereitet.

Ihre Tochter ist ganz anders als viele andere Babys und Kinder. „Sie war die Einzige, die in einer PEKiP-Gruppe nicht ausgezogen werden wollte“, gibt Lisa das Beispiel. Während alle anderen Babys nackig den Raum erkundet haben, findet Lisa es ganz schlimm, die Zeit in der Gruppe auszuhalten. Typisch hochsensibel recherchiert sie zunächst, was sie falsch gemacht haben könnte. „Ich bin dann über verschiedene Begrifflichkeiten gestolpert wie „high-needed“ oder „Schreikind“. Teilweise erkannte ich meine Tochter darin, aber nie so richtig“, erzählt sie weiter, „Durch einen Zufall bin ich auf die Hochsensibilität gestoßen und habe sofort Rotz-und-Wasser geheult.“ Das ist es: Ihre Tochter ist hochsensibel. „Und, ich habe auch mich darin wiedererkannt. Eine richtige Last ist von mir gefallen.“

Herausforderungen einer hochsensiblen Mutter

„Durch das intensive Spüren – positiv wie negativ – kommt es zu zusätzlichen Herausforderungen auf beiden Seiten – bei mir und meinen Kindern“, sagt Lisa. „Trotzdem möchte ich meine Mutterrolle nicht missen“, betont sie. Bei ihr kommt der ausgeprägte Perfektionismus als Schwierigkeit hinzu. „Dadurch habe ich eine extrem hohe Erwartungshaltung an mich selbst, meine Mutterrolle und alle anderen Rollen, die ich noch versuche zu bedienen.“ Nirgendwo möchte Lisa Abstriche machen – das macht es an manchen Tagen besonders schwer. Dahinter stecken Glaubenssätze, an denen sie arbeitet. „Zeit für mich zu nehmen, fällt mir sehr schwer. Da habe ich das Gefühl, das ich mir die erst verdienen muss“, gibt Lisa Einblicke. Dabei setzt sie sich viel zu oft selbst unter Druck. „Darum ist der Perfektionismus für mich die größte Herausforderung.“

Manchmal fühlt sich Lisa auch für Dinge oder Situationen verantwortlich, für die sie aber keine Verantwortung trägt. Dann bringt es sogar nichts, wenn mein Mann sagt „Dann bleibt die Wäsche halt noch zwei Tage liegen und du setzt dich erst mal in die Sonne“. Das kann Lisa nicht. „Ich muss erst alles fertig und Ordnung haben, bevor ich mich entspannen kann.“

Entspannen muss sich Lisa auch von der Geräuschkulisse, die bei drei Kindern ganz automatisch entsteht – selbst wenn sie grundsätzlich ruhigere Kinder hat. „Tatsächlich mache ich sehr viel über mein Hören aus. Das ist mir auch erst vor Kurzem bewusst geworden. Wenn mich viele Geräusche umgeben, kann ich schnell überreizen“, sagt Lisa.

Tools für einen strukturierten im Alltag

Damit die Wäscheberge sich nicht türmen und der hochsensible Kopf nicht im Chaos versinkt, hat Lisa sich Routinen und feste Abläufe angeeignet. „Die geben sowohl meinen Kindern als auch mir zusätzlich Sicherheit“, so Lisa. „Von den Abläufen weiche ich in der Regel auch nicht ab, wenn doch merke ich es sehr schnell.“ Die Abläufe sind nicht so starr, als dass sie diese nicht verändern könnte – es gibt Spielraum für Spontanität: zum Beispiel für Einladungen und Verabredungen. „Morgens gehe ich erst durch die Räume, habe einen festen Tag für die Wäsche. Danach habe ich diese Punkte schon mal aus dem Kopf.“

Auch ätherische Öle nutzt Lisa für sich und ihre Familie als Anker für einen Alltag mit Wohlbefinden. „Was die Öle anbelangt, stehe ich noch am Anfang. Im Moment fließen viele Dinge ein, die Lisa in der Hochsensibilität weiterbringen. „Neben den Ölen ist es auch das Human Design.“ Zwei Themen, mit denen Lisa sich gerade intensiv auseinandersetzt. „Man sagt ja, dass Gerüche sofort über das limbische System an ein Gefühl oder an eine Erinnerung – positiv oder negativ – anknüpfen.“ So versucht Lisa mit den Ölen positive Verbindungen zu schaffen, sodass ihre Kinder herausfordernde Situationen wie die Trennung in der Kita oder Schule leichter fallen.

Für ihre persönliche Hochsensibilität arbeitet Lisa daran, Schutzräume zu schaffen. Sich ganz genau zu überlegen, wen oder was sie in ihr Leben lässt, welche Aussagen sie sich zu Herzen nimmt und welche das gar nicht wert sind und ihr nur Energie rauben. „Abgrenzung ist nicht immer einfach, aber sie ist wichtig für mein Wohlbefinden“, sagt Lisa. „Ich überlege mir, was teile ich von der Hochsensibilität und was nicht.“ Man muss seine Energie nicht in Momente oder Gespräche stecken, bei denen das Gegenüber nichts damit anfangen kann oder kein Interesse zeigt. „Das raubt einfach nur Energie.“

Durch ihre stark ausgeprägte Intuition als hochsensible Frau erkennt Lisa oft schnell, was in ihren Kindern vorgeht, was sie brauchen. Die intensive Gefühlswelt lässt sie sich sehr gut in ihre Kinder hineinversetzen. „Ich sehe es als Vorteil für alle Beteiligten an, eine hochsensible Mutter zu sein.“ Mit der Zeit hat sich Lisa einige Tools erarbeitet. Tools, die wie das Wasser im Schlauch der Feuerwehr wirken. Sie löschen Überreizung, geben Ruhe und Sicherheit. „Wenn man über die Hochsensibilität Bescheid weiß, kann man sein Kind auch ganz anders auf das Leben und bestimmte Situationen vorbereiten, sodass es gar nicht in den Modus „Ich bin anders“ muss.“

Me-Time als hochsensible Mutter

Für sich selbst ist Lisa noch selten die Feuerwehr. „Beim Abschalten bin ich noch nicht“, erzählt die dreifache Mutter. „Aber es ist ja so, dass man es üben kann.“ Ihre Glaubenssätze, die mit „Ich bin erst eine gute Mutter, wenn…“ beginnen, helfen ihr in dieser Situation nicht. Bis vor Kurzem dachte Lisa, dass ihre Me-Time immer einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen muss, wie „mit einer Freundin in ein Wellness-Hotel zu fahren.“ Das lässt sich aber nicht ganz einfach umsetzen.

„Die Frustration steigt mit der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist.“ Wenn man Freude für sich schaffen möchte, ist es besser, die kleinen Momente zu genießen. Das kann die zweite Tasse Kaffee sein, wenn die Kinder in der Schule sind. „Wenn man sich die kleinen Dinge über den Tag verteilt zusteht, kommen auch einige Minuten, vielleicht sogar Stunden zusammen.“

Seit einigen Wochen habe ich eine neue Morgenroutine für mich: „Ich starte jeden Morgen mit Yoga. Das erdet mich so sehr, selbst wenn ich es nur fünf oder zehn Minuten mache.“ Auch weil ihre Kinder unheimliche Schwierigkeiten mit der Trennung von ihr haben, ist es besser für alle Familienmitglieder, wenn Lisa viele kleine Momente für sich hat. „Wenn die Kinder spontan, von Oma und Opa abgeholt werden sollen oder nach der Schule zu einer Freundin mitgehen, fordert es sie heraus.“ Mit den kleinen Auszeiten funktioniert es und ist auch für die Kinder angenehmer, weil sie mehr Zeit bei und mit Lisa haben.

„Jeder darf für sich selbst rausfinden, wie die perfekte und individuelle Me-Time auszusehen hat“, so Lisa, „Ratschläge von außen sind gut gemeint, aber helfen nicht immer. Sie können Impulse setzen. Aber Zeit für sich ist und darf ganz individuell sein.“ Lisa gibt noch einen Tipp: „Auch eine Dusche kann Me-Time sein. Man kann schnell duschen, um des Reinigens wegen oder das Lieblingsprodukt verwenden, achtsam sein und die Zeit wirklich genießen.“

Mutter werden: ja oder nein

Genießen kann man auch die Mutterrolle als hochsensible Mama. „Ich glaube, dass die Hochsensibilität nichts mit dem Kinderwunsch zu tun hat und diesen auch nicht beeinflussen sollte“, findet Lisa, „Wenn man den Wunsch hat und es möglich ist, dann sollte man diesem Wunsch auch nachgehen und sich nicht auf Grund der Hochsensibilität gegen eine Mutterschaft entscheiden.“

Als hochsensible Person wächst man mit den Situationen und Herausforderungen mit. Darum hat sie sich bewusst für drei Kinder entschieden. „Jeden Abend platze ich vor Glück – egal, wie anstrengend der Tag war oder auch nicht“, schwärmt Lisa. „Die Liebe von meinen Kindern ist unheimlich bereichernd.“ Auch erkennt sich Lisa durch ihre Kinder selbst besser.

„Wenn man als Frau vorher weiß, dass man hochsensibel ist, kann man für sich selbst Strategien und Routinen herausarbeiten, die einem Ruhe und Sicherheit geben, sodass man gestärkt in die Mutterrolle geht. Stärker als eine Frau, die noch nichts von ihrer Hochsensibilität weiß und ins kalte Wasser springt.“ Aber Lisa zeigt: Auch mit dem Sprung ins kalte Wasser klappt das Muttersein sehr gut.