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Genkitalk mit Laura Letschert

Wie du Neuanfänge für dich gestalten kannst
Text: Carina Rother
Fotos: Unsplash
04.01.2022
Schriftzug "And so the adventure begins"
Neuanfänge sind magisch. Ihnen wohnt ein Zauber inne. Ein Neuanfang wie ein Jahreswechsel fordert auch Kraft und Willensstärke, die nur aus Ruhe und Selbstreflexion wachsen und geschöpft werden können. Erfahre in unserem Genkitalk mit Coach Laura Letschert, welche Rolle die Natur dabei spielt und wie du mit Leichtigkeit einen neuen Weg einschlagen kannst.

Laura, schön, dass wir wieder zusammenkommen. Heute sprechen wir über Neuanfänge. Was bedeutet der Jahreswechsel für dich?

Ich bin kein Mensch, der sich klassische Vorsätze vornimmt für ein neues Jahr. Auch mache ich mir kein Visionboard. Das hättest du nicht gedacht, oder?

Tatsächlich wäre ich vom Gegenteil ausgegangen.

Ein Visionboard ist es einfach nicht für mich. Für mich ist es wichtig, das alte Jahr zu würdigen und zu reflektieren. Was war überraschend, besonders, bereichernd etc. für mich? Was hat das Jahr mir geschenkt? Es soll nicht ein Abhaken von Errungenschaften oder erbrachter Leistung sein, sondern darf auf tiefgehender Ebene stattfinden.

Meine Erkenntnisse nutze ich und schaue, was mir nächstes Jahr wichtig ist und wo ich mehr für mich sorgen möchte oder welche Intention mich begleiten soll. Oft suche ich mir auch ein passendes Symbol, das mich begleitet.

Ich nehme mir genau dafür Raum und Zeit. Jetzt (Anm. d. Red.: Das Gespräch hat Mitte Dezember stattgefunden) wäre ich eigentlich auf einem Yoga-Retreat, bedingt durch besondere Umstände kann ich in diesem Jahr daran nicht teilnehmen. Mal sehen, was es dann stattdessen wird.

Ich finde es sehr bereichernd, dass das Würdigen so einen großen Stellenwert für dich hat. Ein toller Impuls für unsere Leser:innen, den ich aus deinem Workshop im vergangenen Jahr schon mitnehmen durfte. Nun liegt ja mehrheitlich der Fokus auf dem neuen Jahr, doch kann man aus der Vergangenheit lernen und Wertschätzung für sich - für die eigene Person - ziehen.

Genau, du sagst es! Es ist natürlich schön, dem Sog des Neuen unmittelbar zu folgen und sich mitreißen zu lassen, allerdings läuft man Gefahr, nur kurzweilig Energie für das, was man sich vorgenommen hat, aufzubringen, wenn man sich nicht besinnt und auch einmal durchatmet. Ruhe ist ein ganz wichtiges Stichwort. Die Reflexion ist nämlich auch eine ganz bewusste und ruhige Zeit, die wichtig ist, um dann langfristig kraftvoll in das „Jetzt aber“ zu gehen.

„Jetzt aber“ – dazu würde ich in wenigen Minuten kommen wollen. Bleiben wir doch für einen Moment noch in der Vergangenheit und bei dem Rückblick. Dieser kann bedeuten, etwas oder jemanden loszulassen. Seien es Personen, Glaubenssätze, Gedanken. Loslassen muss dabei aber keinen negativen Charakter haben. Vielmehr ist der Prozess hilfreich, um Ballast loszuwerden und um unbeschwert(er) in das neue Jahr zu gehen.

and breathe.

Hast du Tipps, wie man mit geringem Aufwand loslassen kann?

Ja, einen feinen und kleinen Tipp habe ich in petto, den ich selber sehr gerne zwischendurch mache, weil er so unkompliziert ist. Und zwar verbinde ich das Loslassen mit meinem Atem. Jedes Ausatmen darf dann ein Loslassen sein. Die Übung kann man jeden Tag machen und gleichzeitig kann man sich beim Einatmen mit dem Verbinden, was man sich wünscht. Das scheint eine ganz kleine Übung so sein, aber sie bringt sehr viel.

Zum Thema Jahreswechsel: Ich kann immer entscheiden, was rein und raus in mein Leben darf. Mit dieser Übung wird es einem ganz bewusst. So wie jeder Atemzug und jedes Ausatmen ein Neuanfang sind, ist es ein neuer Tag, eine neue Minute usw.. Wir brauchen dafür nicht den Jahreswechsel, wir können jeden Tag neu entscheiden und uns mit dieser Atemübung verbinden.

Toll, Laura. Diese Übung nimmt aus meiner Sicht den enormen Druck auf den Jahreswechsel. So viele Menschen erwarten von sich und einem neuen Jahr Großartiges. Hier sind wir dann beim „Jetzt aber“. Aber ich finde es viel schöner, sich bewusst zu machen, dass wir jeden Tag etwas ändern, loslassen etc. können, wenn wir es wollen.

Wir haben schon viel vom Loslassen gesprochen. Was bedeutet Loslassen eigentlich?

Die Frage finde ich sehr schön. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, was dies für einen ganz persönlich bedeutet. Du hast gerade sehr selbstverständlich gesagt, dass es kein negativer Prozess sein muss. Folgende Fragen können hilfreich sein, um eine Antwort für sich zu finden:

  • Ist es positiv oder negativ für mich besetzt?
  • Gibt es mir Erleichterung, weil ich von etwas loslasse?
  • Merke ich es auf körperliche Ebene?

Der Begriff hat sehr viele Facetten und mit der Vielseitigkeit kann man sich im Alltag befassen und Schritt für Schritt seiner eigenen Definition näher kommen.

©: Julia Walter

Was bedeutet Loslassen für dich?

Loslassen bedeutet einerseits für mich Abstand zu nehmen und somit freier sein zu können. Dadurch das ich Abstand habe, bekomme ich mehr Raum. Ich kann mich freier bewegen, mich der Sache wieder nähern oder eine andere Haltung zu der Sache einnehmen.

Wenn man immer auf Spannung ist wie ein Seil, an dem ständig gezogen wird, dann drohen unsere Nerven zu zerreißen. Wenn man aber lockerlässt, dann kann man mit dem Seil auch wieder Seilchen springen. Man entdeckt also neue Möglichkeiten.

Warum liegt auf dem Jahreswechsel ein immenser Druck? Hast du eine Einschätzung oder kannst sogar Learnings aus deinen Coachings teilen?

Ich finde sehr schön, dass du das ansprichst. Ich habe mir die Frage schon oft gestellt. Dabei habe ich mir vor allem die Natur und ihren Zyklus genauer angeschaut. Der Winter, in dem der Jahreswechsel stattfindet, ist doch die Zeit, in der die Natur und die Tiere sich zurückziehen. Sie gehen sogar teilweise in den Winterschlaf und ruhen sich ausreichend aus, um neue Kraft zu sammeln. Aber der Mensch verschiebt diesen Rhythmus durch das Ereignis (Silvester und Neujahr) total. Auch die Weihnachtszeit ist für die meisten Leute eine stressige Zeit. Die Zeit der Ruhe ist also im Winter oft ungemein gering. Wir veräppeln uns letztendlich selbst und agieren antizyklisch, wenn wir uns keine Ruhe gönnen.

Daher sind aus meiner Sicht andere Momente als der Jahreswechsel (zum Beispiel der Frühlingsanfang) deutlich sinnvoller für neue Vorhaben und große Veränderungen. Der Frühling lässt Tiere und Natur wieder aufwachen und lädt uns damit ein, auch wieder aktiver zu werden. Die Zyklen der Natur sind ein Geschenk!

An dieser Stelle schon auch mal ein Teaser dafür, dass wir für den Frühlingsbeginn (Samstag, 19. März 2022, Sonntag, 20. März 2022), was Inspirierendes und Bereicherndes kreieren.

Und so ist es sinnvoll, sich diesen anzupassen, wenn es möglich ist. Wir können uns bewusst machen, dass der Druck nur künstlich geschaffen ist. Wenn man sich also auch gar nicht danach fühlt, mit Vollgas Richtung Zukunft loszugehen, dann darf man sich auf frei vom gesellschaftlichen Druck machen und auf Fragen wie „Was sind deine Ziele?“ „Wo willst du hin?“ ehrlich antworten und sich dadurch nicht bedroht fühlen. Was für andere richtig ist, muss nicht für dich richtig sein.

Sehr wertvoll. Danke dir, Laura.

Ziele sind ja per se nichts Schlechtes. Hast du einen Tipp, wie man Ziele mit Leichtigkeit angehen kann, sodass man den Weg genießt?

Dazu gibt es ein passendes Zitat von Bill Gates: „Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem Jahr erreichen können und unterschätzen, was sie in 10 Jahren erreichen können.“ Es ist ein klasse Zitat, weil es darauf eingeht, dass die Erwartungen an uns oder unsere Ziele oft viel zu hoch sind und wenn man diesen nicht gerecht wird, sich sehr viel Frust breitmacht.

Das heißt, es gilt sich zu überlegen: 

  • Was ist wirklich für mich machbar?
  • Welche Ressourcen habe ich?

Es ist fundamental, nur nach diesen Ressourcen zu handeln und einen Schritt nach dem nächsten zu gehen. Es gibt eine Faustregel, die besagt, dass man in den ersten 72 Stunden nach der Entscheidung agieren soll, sodass aus den Überlegungen wirklich Aktionen werden.

Man benötigt also keinen Masterplan, sondern ein Ziel, welches man runter bricht in kleine Schritte. Ein Beispiel: Das Ziel ist, Lust am Laufen zugewinnen. Ich räume ein, dass es auf dem Weg passieren kann, dass Laufen gar nicht der richtige Sport ist. Aber auch das wäre in Ordnung. Der erste Schritt bei diesem Ziel ist beispielsweise, dass du dir deine Schuhe schnappst und losgehst. Und wenn du nach Hause kommst, dich zu fragen, ob du Spaß an der Sache hattest. Wenn ja, was könnte dann der zweite Schritt sein, an dem du Spaß hast und der dich gleichzeitig fordert? Vielleicht ist die nächste Runde bereits länger und du motivierst dich mit Musik in den Ohren. Diesen Schritt überprüfst du wieder und so geht es weiter bis du dein Ziel erreichst. 

Erkennst du den Unterschied zu den klassischen Vorsätzen wie „Ich gehe drei Mal die Woche laufen, ich schaffe nach zwei Wochen sieben Kilometer, kaufe das beste Equipment“?

Entwickle dich mit deinen Zielen und schon gewinnst du an Leichtigkeit. 

Danke für deine Worte, Laura. Da hast du auch ein klasse Beispiel ausgesucht. Seit zwei Jahren klebt auf meinem Visionboard die durchtrainierte Joggerin, die ich gerne wäre. Und jetzt rate mal, wie oft ich joggen war? Der Druck hat mich kapitulieren lassen.

Es ist so wichtig, dass du ein gutes Gefühl hast, wenn du deine Laufschuhe anziehst. Sage dir: „Es geht nur um das Tun an sich und ich darf auch je nach Verfassung entscheiden, was es sein darf. Vielleicht ist es an dem einem Tag auch nur ein Spaziergang und vielleicht ist es an einem anderen Tag so klasse, dass du fünf Kilometer am Stück joggst.“

Entscheide für dich zu Beginn, warum du dieses Ziel hast. Erst dann kannst du deine Schritte richtig planen.

Laura, es ist immer so schön mit dir! Ich mag unseren neuen Genkitalk. Gibt es noch etwas, was du noch mitgeben möchtest?

Ja, und zwar geht es um die eigene Kraft und eigene Ressourcen. Wenn dir dein Ziel oder eines von mehreren dir keine Kraft gibt, dann kannst du logischerweise keine Energie haben, um deine Ziele zu erreichen. Das gilt es zu prüfen.

Das übergeordnete Ziel sollte es immer sein, dass du viel Energie im eigenen Fass ist! Wenn du ambitionierte Ziele wie ein Haus sanieren, dein Business aufbauen und für einen Halbmarathon trainieren, hast, hinterfrage, ob du sie alle gleichzeitig bearbeiten möchtest.

Auch wenn ein Business aufbauen oder ein Haus bauen, Spaß macht, ziehen diese Ziele Kraft. Und man sollte auf seine Reserven achten, andernfalls kann dies zu Erschöpfung und Krankheit führen. Das ist kein Ziel Wert.


Hast du eine Idee, wie man Neuanfänge schön zelebrieren kann? Es steckt so viel Magie darin, wie kann man diese Magie, den Zauber des Anfangs auf seinem Weg bewahren?

Es ist eine Idee, sich am Anfang der Reise einen Brief zu schreiben. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und da ist das ganz Besondere. In dem Brief kannst du aufschreiben, woran du dich auf deinem Weg erinnern möchtest. Was von dem Zauber du dir bewahren möchtest. Du kannst dir alternativ ein kleines Ritual ausdenken, wie eine Kerze anzünden oder eine Meditation machen. Ein Ritual, das du wirklich in vollen Zügen genießt.

Gebe dir auch die Erlaubnis, Pläne zu ändern. Das fängt schon bei einer Tagesplanung an. Man muss nicht verzweifelt hinterher etwas hetzen, was nicht klappt. Und es kommt vor, dass das Leben überrascht und du so von deinem ursprünglichen Vorhaben abgebracht wirst. Es geht gleichfalls darum, immer genug Puffer einzuplanen. Man ist nicht jeden Tag gleich leistungsfähig. Man darf sich erlauben, mit seiner Zeit und seinen Ressourcen zu planen.

Danke für deine Zeit und unser wertvolles Gespräch. Bis zum nächsten Genkitalk.