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Drei achtsame Rituale

für mehr Gelassenheit im Homeoffice
Text: Jasmin Arensmeier
Fotos: Jasmin Arensmeier
19.03.2021

Es ist gar nicht so einfach, über achtsame Entschleunigung und die heimische Komfortzone nachzudenken, während die Corona-Krise bereits das erste Jubiläum feiert. Wir alle haben in den letzten 12 Monaten unheimlich viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht und das hat die Beziehung zu unserem Rücksichtsort maßgeblich verändert. Schlafen, arbeiten, essen, grübeln. Fast 365 Tage ohne Pause. Während vor der Krise vier Prozent der Beschäftigten von zu Hause aus arbeiteten, waren es im ersten Lockdown im April 2020 rund 30 Prozent in Deutschland. Auch Ende Januar 2021 arbeitete aufgrund ansteigender Infektionszahlen ein Viertel der Erwerbstätigen überwiegend im Homeoffice.

Wir alle empfinden eine tiefe, hungrige Sehnsucht - nach ganz unterschiedlichen Dingen. Der gemeinsame Nenner ist aber sicherlich eine gewisse Gier nach Sicherheit. Nach Resilienz, die all die anderen Unbekannten erträglicher macht.

Eine gewisse Grundgelassenheit ist eine wunderbare Gabe, die jede persönliche und zuletzt auch diese globale Krise ein bisschen einfacher macht. Wir alle kennen und bewundern Menschen, die einen kühlen Kopf bewahren und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Auch in der Arbeitswelt ist diese Fähigkeit extrem hilfreich, um sich selbst zu schützten. Resilienz hilft uns, Dinge nicht persönlich zu nehmen, Grenzen zu setzen und ein realistisches Selbstbild zu pflegen. Kleine Übungen mit kurzer Dauer sind extrem effektiv, um eine realistische Selbstfürsorgepraxis als festen Bestandteil des neuen Alltags zu etablieren. Sie funktionieren so gut, weil sie so machbar sind.

Der 60 Sekunden-Reset

Für diese Übung brauchst du nur einen Wecker, dafür kannst du zum Beispiel dein Handy nehmen. Generell finde ich es schöner, einen angenehmen Weckton für das Ende der Übung einzustellen. Das verstärkt den meditativen Charakter und lässt dich am Ende nicht hochschrecken. Wie wäre es mit einem Gongschlag oder alternativ auch einem Lieblingssong, der dich danach noch einige Minuten begleiten darf?

Zum Start der Übung nimm eine bequeme und aufrechte Haltung ein. Du musst nicht extra den Platz wechseln, sondern kannst direkt beginnen. Der Reset gelingt überall. Wichtig ist, dass dein Rücken gerade ist und die Füße fest auf dem Boden stehen. Versuche, deine Gliedmaßen zu entspannen, und atme ruhig.
Erlaube deinem Bewusstsein 60 Sekunden das zu tun, was es möchte. Lass deine Gedanken springen, kreisen oder kryptisch sein. Vielleicht ist dein Kopf auch völlig leer und du konzentrierst dich einfach auf diese angenehme Stille. Ganz bewusst „nichts zu denken“, ist unheimlich schwierig und gelingt selten, deswegen sollte das hier auch nicht das Ziel sein. Eine Minute Freiheit spüren, gar nichts tun und passiv sein. Danach machst du wieder fokussiert weiter.

Der physiologische Seufzer

Neurowissenschaftler haben ein strategisches Atemmuster entdeckt, dass der Körper in bestimmten Situationen bewusst einsetzt, um das Nervensystem zu beruhigen: das physiologische Seufzen. Es tritt auf, wenn der Kohlendioxidgehalt in Lunge oder im Blutkreislauf zu hoch ist. Dies kann durch besonders stressige Situation hervorgerufen werden und wird vom Körper als Gefahr interpretiert. Die gute Nachricht: Dieses Atemmuster ist extrem effektiv und kann auch selbst forciert werden und es dauert nur wenige Sekunden.

Atme durch die Nase ein.
Atme direkt danach ein weiteres Mal durch die Nase ein, diesmal jedoch kürzer.
Atme langsam und ausgedehntes durch den Mund aus. Am besten hörbar mit einem seufzen.
Wiederhole dieses Muster bis zu drei Mal.

Die Ta-da-Liste

Eine To-do-Liste kann helfen, den Arbeitsalltag zu strukturieren. Wenn sie zu lang wird oder immer wieder unbedacht aufgefüllt wird, kann sie uns jedoch auch einschüchtern und ein schlechtes Gefühl geben. Eine zu lange Liste macht, dass wir uns unproduktiv fühlen und das macht auf die Dauer etwas mit unserem Selbstwertgefühl. Negative Glaubenssätze aus unserer Vergangenheit werden wieder laut und multiplizieren sich mit der allgemeinen Schwere der momentanen Arbeitssituation. Ein „Ich bin nicht gut genug“ oder „Ich schaffe das nicht“ schleicht sich da gerne mal wieder zurück in die eigene Gedankenwelt.

Die Ta-da-Liste hilft uns, den Fokus auf die Dinge zu richten, die wir bereits erfolgreich gemeistert haben. Nimm ein Blatt Papier oder öffne deine Notiz-App am Smartphone. Liste alle Dinge auf, die du diese Woche bereits geschafft hast. Das müssen nicht nur große Meilensteine sein, sondern können auch kleine Aufgaben sein, die dir vielleicht generell unangenehm sind und auf die du gerade deshalb doppelt stolz bist. Das unangenehme Gespräch mit dem Versicherungsberater? Abgehakt! Der lange Zoom-Marathon am Montag? Geschafft! Sei großzügig und notiere alles, was dir einfällt. Mehr ist mehr! Diese Liste kann zu einem regelmäßigen Ritual werden und du kannst sie stetig erweitern. Es tut einfach gut zu sehen, was man alles bereits geschafft hat und das „Ta-da-Gefühl“ ist zumindest ein kleiner Ersatz für die Anerkennung der Lieblingskolleg:innen.

Soziale Medien und Coaches beeindrucken uns oft mit ihrer zeitaufwendigen Meditationspraxis oder mit ihrer scheinbar angeborenen Resilienz. Doch genau hier dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Jeder kleine Schritt bringt uns dem Ziel „mehr Gelassenheit“ näher und die Fähigkeit, Stress besser standzuhalten, ist definitiv trainierbar. Gut definierte Muskeln wachsen schließlich auch nicht nach einem einmaligen, ausgedehnten Training über Nacht. Viele kleine Trainingseinheiten, die wir dafür konsequent und über einen längeren Zeitraum durchführen, sind viel effektiver. Das gilt auch für den „Achtsamkeitsmuskel“. Wenn wir diese Übungen regelmäßig durchführen und ihnen durch eine gewisse Ritualisierung mehr Bedeutung schenken, senken sie unser Stressniveau konstant. Wir schaffen durch die konsequente Einbindung dieser Rituale eine gewisse Sicherheit, die unsere Resilienz wachen lässt. Den geeigneten Zeitpunkt und die beste Routine kennst nur du, aber schöne Momente für die Umsetzung dieser Ideen wäre zum Beispiel der Arbeitsbeginn nach der Mittagspause oder vorbeugend zum Nachmittagstief.

Über die Autorin

Jasmin Arensmeier ist selbstständige Konzepterin, Autorin und Bloggerin mit ihrem Blog www.teaandtwigs.de, bei dem sich alles um die Themen Lifestyle, Achtsamkeit und Design dreht. Die letzten fünf Jahre hat die Freiberuflerin ihre Zeit in der Metropole London verbracht, bis sie kürzlich in die Heimat Stuttgart zurückkehrte.

In ihrem dritten Buch „Jeden Tag ein bisschen glücklicher“ denkt sie über die aktuellsten Lifestyle-Themen und Trends unserer Zeit nach. Sie erzählt inspirierende Geschichten aus ihrem Lebens- und Arbeitsalltag und stellt praktische Lösungsansätze aus den Bereichen Glücksforschung, Meditation und Neurowissenschaften vor. Ein Buch, das hilft, eine gesunde Aufmerksamkeit für sich und sein Umfeld zu entwickeln und jenseits allen Hypes entspannt seine individuelle Werkzeugkiste mit Mitteln für ein glückliches Leben zusammenzustellen.