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Sie nehmen Reize stärker wahr, sind anfällig für Störungen von außen, empfinden Konflikte oft als sehr belastend: Für hochsensible Personen kann der klassische Job-Alltag eine ziemliche Challenge sein. Wie finden Hochsensible den richtigen Beruf oder sogar ihre Berufung? Welche Rahmenbedingungen sollten stimmen und wie kann man vermeiden, dass man hochsensibel im lauten Großraumbüro landet? Cyrbi Mohr ist Coach für hochsensible Frauen und hat unsere Fragen zum Thema beantwortet.

Wenn ständig ein Telefon klingelt, die Kolleg:innen laut vom letzten Wochenende erzählen und dann jemand sein Mittagessen am Schreibtisch genießt: So viele Reize und Eindrücke können für Hochsensible eine große Herausforderung sein – genau wie zunächst die Auswahl des richtigen Berufs. Denn wer hochsensibel ist, stellt oft besondere Ansprüche an den eigenen Job: „Sinnhaftigkeit steht mit ganz oben auf der Liste“, sagt Coach Cyrbi. 

„Zudem lieben Hochsensible es, sich in ihrem Beruf kreativ auszuleben und selbstständig zu arbeiten. Das Arbeiten unter einem Vorgesetzten kann eine Herausforderung sein, genauso die Anwesenheit vieler Menschen und Abgrenzung von diesen sowie Arbeiten unter Druck oder bei Geräuschen.“

Besondere Stress-Situationen für Hochsensible

Der Alltag in einem Großraumbüro ist also eine typische Arbeitssituation, die Stress für Hochsensible bedeutet. „Zu viele Menschen, Gewusel, Hektik, Geräusche, Gespräche, klingelnde Telefone. All das kommt dem hochsensiblen Nervensystem nicht zugute“, so die Expertin.

Ein weiteres Problem, das viele hochsensible Personen im Job erleben: Der Umgang mit unangenehmen Arbeitskolleg:innen. „Wenn das Nervensystem fein ist und die Sinne geschärft sind, wenn die Energien anderer Menschen klar wahrnehmbar sind und man einfach alles mitbekommt, kann das zu starken Abgrenzungsproblemen führen“, sagt Cyrbi. Gibt es Konflikte mit Team-Mitgliedern oder Chef:innen, nehmen Hochsensible sie häufig mit nach Hause, kommen nicht aus dem Gedankenkarussell heraus.

Und: „Ein großer Stressfaktor kann auch darin bestehen, beruflich nicht ‚anzukommen‘, den eigenen Platz nicht zu finden, sich immer wieder beruflich neu zu orientieren – und das dann vor Familie, Freund:innen und Bekannten zu erklären.“

Am besten: Von Anfang an vorbeugen

Was können Hochsensible also tun, um trotzdem im Job erfolgreich zu sein? Schließlich ist es in den meisten Fällen keine Option, nicht zu arbeiten, um sich selbst vor all diesen Einflüssen zu schützen. „Es ist wichtig, bereits während der Jobsuche auf gewisse Dinge zu achten“, so Cyrbi. „Wie ist die Stimmung am Arbeitsplatz und unter den Kolleg:innen? Wie laut und wie hektisch ist es? Welchen Eindruck machen Vorgesetzte? Hochsensible Menschen sind in der Regel gut darin, Stimmungen in Räumen zu erfassen und Menschen zu ‚lesen‘.“ 

Das ist natürlich schwerer, wenn Vorstellungsgespräche vorwiegend digital stattfinden und nicht im Office des Unternehmens – doch Hochsensible können auch bei der Jobsuche auf Distanz versuchen, besonders achtsam zu sein, um sich ein passendes Arbeitsumfeld auszusuchen. Vor allem zwischenmenschliche Eindrücke lassen sich schließlich auch im Video-Call erfassen. Hier können Hochsensible dann auf ihre Intuition vertrauen.

Richtig reagieren in Konfliktsituationen

Wer schon einen Job hat und sich schlecht von einer schwierigen Situation mit Kolleg:innen abgrenzen kann, kann Cyrbi zufolge auf verschiedene Strategien setzen:

  • Das Gespräch suchen – denn Unausgesprochenes belastet sehr stark
  • Mindset-Arbeit betreiben bzw. Abgrenzung stärken
  • Meditation in den Alltag integrieren, um Gedankenkreise zu beenden
  • Durch Yoga das Nervensystem beruhigen, das durch die Konflikte stark strapaziert ist

Selbstständigkeit: Die Lösung für Hochsensible?

Kein Großraumbüro, keine direkten Kollegen, weniger Meetings und flexiblere Zeiteinteilung: Viele hochsensible Menschen setzen auf selbstständige Arbeit, um das beste Umfeld für das eigene Schaffen zu kreieren. „Die Selbstständigkeit kann für Hochsensible als Gegenpol zur Festanstellung sehr interessant sein“, bestätigt Cyrbi. „Selbstständige Arbeit bringt neben den genannten Vorteilen natürlich andere Herausforderungen mit sich. Doch sie kann einen super Rahmen bilden, damit ein hochsensibler Mensch sich bei der Arbeit wohl fühlt, sich gut konzentrieren kann, sein volles Potenzial ausschöpfen und sich selbst verwirklichen kann – ein häufig gehegter Wunsch hochsensibler Menschen.“

Aber natürlich passt eine selbstständige Arbeit nicht zu jeder Tätigkeit und auch nicht zu jedem Menschen. Sie kann eine Option sein, aber nicht der einzige Weg, um erfüllt zu arbeiten.

Die richtige Umgebung im festen Job

Vielleicht ist es auch möglich, in einer Festanstellung die Rahmenbedingungen anzupassen, zum Beispiel durch die Arbeit in einem Einzelbüro. „Hochsensible profitieren immens davon, in Ruhe zu arbeiten, da Ablenkung ein großes Thema ist – aufgrund der feinen körperlichen Sinne, aber auch aufgrund der komplexen Informationsverarbeitung“, so die Expertin. Einzelbüros können helfen, die Konzentration aufrechtzuerhalten und rauben Hochsensiblen oft weniger Energie.

Auch die Größe des Arbeitgebers kann eine Rolle spielen: „Kleine Unternehmen können die bessere Wahl sein, zum Beispiel bezüglich Geschäftigkeit, Gewusel usw.“, sagt Cyrbi. Aber: „Wenn hier das Betriebsklima nicht stimmt, kann auch die Arbeit in einem sehr kleinen Unternehmen zur Herausforderung werden.“

Wie hochsensible Personen ihre Berufung finden

Und auch wenn die Rahmenbedingungen noch so stimmig sind: Wenn sich die Inhalte falsch anfühlen, hilft das ruhigste Einzelbüro nichts. Wer hingegen die eigene Berufung gefunden hat, geht in der eigenen Arbeit auf und genießt sie unter allen Bedingungen viel stärker. Wie kann das also gelingen? Cyrbi unterstützt ihre Coachees dabei und sagt: „Um die eigene Berufung zu finden, ist es wichtig, das Bewusstsein für die eigenen Ressourcen – also Fähigkeiten und angeborene Gaben – zu stärken.“

Es sei oft so, dass Hochsensible über besondere Talente oder angeborene Gaben verfügten, die sich beruflich einsetzen lassen. „Nicht selten finden sich unter Hochsensiblen hochbegabte Menschen, die ihr Potenzial selbst nicht erkennen“, so die Expertin. „Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wesen, der eigenen Hochsensibilität und zu verstehen, wie man funktioniert, sind zum Finden der Berufung grundlegend.“

Daneben ist auch Klarheit über die eigenen Bedürfnisse entscheidend – und die Frage, wie sich diese im Job einsetzen lassen. „Nicht alles, worin man gut ist, eignet sich auch für eine berufliche Umsetzung.“ Cyrbi nennt dafür folgendes Beispiel: „Vielleicht bist du aufgrund deiner Empathie und Menschenkenntnis die geborene Therapeutin, wärst in dem Beruf als Psychologin jedoch nicht gut aufgehoben aufgrund von deines Bedürfnisses nach Abgrenzung.“

Wer also weiß, wo die eigenen Fähigkeiten und Talente liegen, eine möglichst genaue Vorstellung davon hat, welche Arbeit einen glücklich macht und wie man diese im Beruf einsetzen kann, ist dem Schritt zur Berufung und damit beruflichen Erfüllung einen großen Schritt weiter. Das gilt für Hochsensible genauso wie für alle anderen Menschen.

Du bist hochsensibel? Du darfst immer neu entscheiden

Und: Wenn sich ein Job oder auch ein ganzer Berufsweg nicht gut anfühlt, dann ist es völlig okay, in eine andere Richtung zu gehen. „Eine berufliche Neuorientierung ist für hochsensible Menschen ganz normal“, sagt Cyrbi. „Das hat nichts mit Scheitern zu tun, auch wenn es sich zunächst so anfühlen mag.“ Ihre Tipps in einer solchen Umbruch-Situation:

  • Setze dich mit deinen eigenen Ressourcen und Bedürfnissen als hochsensible Person auseinander.
  • Frage dich, was du besonders gut kannst und was du in deinem Beruf brauchst. „Was ist wichtig, damit du bei der Energie bleibst, dich auf der Arbeit wohlfühlen kannst und nicht schon nach kurzer Zeit das Interesse verlierst?“

Wenn du es schaffst, diese Fragen zu beantworten und bei der Jobsuche (oder Jobgestaltung) entsprechend zu handeln, bist du einem erfüllten Arbeitsalltag im hochsensiblen Leben einen großen Schritt weiter.

Hochsensibel im Job: So gehst du nicht unter
Cyrbi lebt in Hamburg und ist seit 2019 als Yoga- und Meditationslehrerin sowie Coach für hochsensible Frauen tätig. Sie hilft Klient:innen dabei, einen positiven Umgang mit ihrer Hochsensibilität zu entwickeln und wieder mehr Leichtigkeit in ihrem Leben zu erfahren. Außerdem unterstützt sie Frauen dabei, ihre Berufung zu finden und mehr Erfüllung im Job zu erfahren. Mehr Infos über Cyrbi gibt es auf ihrer Website und bei Instagram.